Zwei weiße Teller mit fein garnierten kleinen Speisen im Restaurant Mural in München.

Fachgespräch mit Wolfgang Hingerl

„Gutes Essen muss sich nicht hinter Schlips und Kragen verstecken“

Trifft man den quirligen Anfang Dreißigjährigen, vermutet man nicht, dass man es mit einem Gastro-Urgestein zu tun haben könnte. Doch Wolfgang Hingerl jobbte bereits als Teenager in der Dorfwirtschaft in seiner Heimat im Münchner Osten. Nach Stationen im legendären Münchner Last Supper, Smoothie-Läden oder einem laotischen Fusion-Pop-up mischt er heute mit seinen Restaurants die Münchner Gastrolandschaft auf.

Während über dem Gourmetrestaurant Mural der erste Stern hängt, wird in der Bar Mural eine lockere Bistroküche zu naturnahen Weinen gereicht. Mit der Bambule! Bar brachte Wolfgang Hingerl kulinarische Klasse ins Bahnhofsviertel. Im Mural Farmhouse in Obersendling wiederum wird auf eine konsequent regionale Produkteküche gesetzt. Wir haben uns mit dem Tausendsassa über die neue Münchner Sterneflut und aktuelle Trends in der Spitzenküche unterhalten.

 

Herr Hingerl, was hat Sie auf Ihrem Weg weiter vorangebracht: die Erkenntnis, dass anspruchsvolle Küche auch mit Produkten aus der Region möglich ist? Oder dass man keinen pastellfarbenen Blazer tragen muss, um diese zu genießen?

Die besten Gäste, die ich in meinem Leben hatte, waren in den ungewöhnlichsten Settings glücklich. Im Last Supper kam Punkrock aus den Boxen, aber es wurde wirklich gutes Essen aufgekocht. Die Kellner trugen AC/DC-T-Shirts, alle waren von oben bis unten zugehackt mit Tattoos. Man war per Du, man konnte auch mal ein bisschen patzig sein oder witzig oder sarkastisch. Das hat dazu geführt, dass man entspannte Leute im Laden hatte, die vielleicht im Job elitär sein müssen, aber privat nicht. Gutes Essen oder guter Wein müssen sich nicht hinter Schlips und Kragen verstecken.

„Wenn ich ein Gemüse um halb sechs in der Früh ernte, weil es dann den meisten Saft hat, ist es schön, wenn es bei mir um zehn Uhr ankommt.“

Aber kulinarisch ist es klar die Regionalität, die Sie interessiert hat?

Regional heißt nicht immer, dass es gut ist. Die Person dahinter muss gut sein. Natürlich ist es schön, wenn die Strecken kurz sind. Wenn ich ein Gemüse um halb sechs in der Früh ernte, weil es dann den meisten Saft hat, ist es schön, wenn es bei mir um zehn Uhr ankommt. Aber es macht auch mal Sinn zu hinterfragen: Muss ich das Huhn ums Eck kaufen, wenn ich ganz genau weiß, das wird nicht gut gefüttert, zu schnell aufgezogen und so weiter und so fort? Oder gehe ich einfach zu dem Spezialisten in Deutschland, der das beste und nachhaltigste Huhn produziert?

Welche Produkte, die Sie für Ihre Restaurants beziehen, begeistern Sie?

Es sind noch mehr die Produzenten als die einzelnen Produkte. Etwa Mogli Billesberger vom Billesbergerhof in Moosinning: Da ist eine einfache Kartoffel so gut, dass man sagt: Warum kauft man noch woanders Kartoffeln? Es gibt im Münchner Umland auch Produkte wie Huchen, die eine Qualität haben, dass man keinen anderen Fisch mehr roh verarbeiten will. Wir beziehen auch von einem Zickleinhof in der Nähe von München. Da bekommen wir manchmal die Innereien vom Zicklein. Und daraus lassen sich fantastische Gerichte machen. Bittersalate finde ich jedes Mal wieder spannend, weil die einfach so einen besonderen Kick geben, auch in Kombination mit Wein. Es geht bis zum Frischkäse: Wenn du zum Beispiel den der Alztaler Hofmolkerei probierst, möchtest du danach keinen anderen mehr essen.

Radikale Regionalität ist das Konzept im Farmhouse, dem neuen Restaurant aus der Mural-Familie in Obersendling. Wie unterscheidet sich die Küche dort vom Mutterschiff in der Innenstadt?

Was unser Küchenchef Joshua Leise im Mural macht, würde ich als Neue Deutsche Küche bezeichnen. Trotzdem liegt der Ursprung kochtechnisch eher in der französischen Küche, die einen Tick cremiger, sauciger, fettiger ist, mit mehr sichtbaren Komponenten auf dem Teller. Im Vergleich zum Mural ist die Dramaturgie im Farmhouse eher so, dass die Komponenten aufeinander aufbauen. Der Fokus liegt dezidierter auf den einzelnen Produkten. Das ist im Konzept eher neue nordische Küche, aber in Bayern. Ein Beispiel: Wenn auf einem Teller im Farmhouse ein Fisch liegt, ist der nur leicht bepinselt und vielleicht etwas Zierquitte drübergeraspelt. Im Mural wäre der Fisch kurz angebeizt, dann wäre vielleicht noch eine Vinaigrette oder eine Beurre blanc dabei, ein, zwei passende Bittersalate oder auch Crunch.

„Es gibt im Münchner Umland auch Produkte wie Huchen, die eine Qualität haben, dass man keinen anderen Fisch mehr roh verarbeiten will.“

Ein aktueller Trend in der Spitzenküche geht in Richtung plant-based – auch, um sich von der Haute Cuisine alter Schule abzugrenzen, in der eigentlich jeder Gang aus Fisch oder Fleisch besteht. Wie reagieren Sie darauf?

Wir haben ein komplett vegetarisches Menü im Farmhaus. Aber wirklich rein plant-based, also komplett frei von tierischen Produkten, ist das vegane Menü im Mural. Wir verwenden allerdings keine Substitute. Wir wollen nicht ein Produkt kaschieren, damit jemand denkt: Ah, es schmeckt wie Fleisch, ist aber keins. Warum auch?

Die Entwicklung, dass Gäste diverser werden in ihren Ansprüchen, vor allem auch rigoroser in ihren Ausschlusskriterien, was sie alles nicht essen – ist das sehr herausfordernd für die Gastronomie?

Wenn es in Richtung vegetarisch und vegan geht, sehe ich das eher als positiven Druck. Und so verrückt ist der Verzicht ja nicht: Wenn es im Hauptgang ein Stück Fleisch gibt und davor in einem anderen Gang vielleicht ein bisschen Fisch, muss das eigentlich reichen. Es war ja auch in der alten bayerischen Kochtradition so, dass man am Sonntag den Braten hatte. Und freitags Fisch. Und sonst gab es Knödel oder Eintopf. Und das kann man alles saugut und modern kochen und in Szene setzen mit hochwertigen Produkten.

Erleben Sie noch die Bereitschaft bei den Menschen, sich vier, fünf Stunden lang mit einem Menü auseinanderzusetzen?

Ich glaube, es kommt darauf an, wie oft man es macht. Aber ich habe den Eindruck, dass es eher in Richtung weniger Teller geht. Man sitzt zu viert am Tisch, bestellt vier, fünf Gerichte und jeder hat von allem etwas. Finde ich spannend. Und ist wahrscheinlich auch eher das, was in Zukunft passt, auch wenn man sich die Personalthematik anschaut.

„Wenn man die Gemüse teils selbst im Dachgarten anbaut, dann benutzt man von der Karotte auch das Grün.“

„Nose to tail“, beziehungsweise neuerdings „Root to leaf“: Sind das Konzepte, die im Farmhaus gelebt werden?

Definitiv. Wenn man die Gemüse teils selbst im Dachgarten anbaut, dann benutzt man von der Karotte auch das Grün. Einfach, weil man weiß, was das für ein Struggle ist, sich das ganze Jahr um die Pflanzen zu kümmern. Reste kann man auch entsaften, fermentieren, daraus Soßen ziehen oder Essige oder Vinaigrettes. „Root to leaf“ bei der Pflanze, „Nose to Tail“ beim Tier. Es wird einfach alles verwertet. Egal, ob daraus ein Schinken gemacht wird oder ob gewisse Stücke noch mal eingekocht werden.

Wie hat sich in Ihren Augen die Münchner Spitzengastronomie in den letzten Jahren gewandelt?

Es hat sich viel verändert. Die Leute vom Wirtshaus sind mit den Leuten von der coolen Bar und den Menschen hinter der Sternegastronomie vernetzt. Mit dem Tantris hatte München das älteste Sternerestaurant Deutschlands. Das hat schon jahrzehntelang einen Einfluss gehabt auf die anderen Spitzenläden in der Stadt. So einen Magneten in der Stadt zu haben, da kann man schon dankbar sein. Aber in letzter Zeit ist es deutlich vielseitiger geworden. Und ich bin jetzt mal ganz frech und sage, dass wir die letzten Jahre die Stadt auch sehr geprägt haben, indem wir gezeigt haben: Es geht auch anders. Es geht, wenn man jung, mutig, frech ist.

Ist München kulinarisch ein interessantes Ziel?

München ist für mich die schönste Stadt, mindestens in Deutschland. Da gibt es wenige in Europa, die ich genauso toll finde. Von der Subkultur bis zu den Erlebnismöglichkeiten, der Nähe zu Seen und Bergen, aber auch Erholungsgebieten in der Stadt. Keiner muss mehr als zehn Minuten mit dem Radl fahren, und an der Isar hat man eigentlich das schönste Fleckchen Erde vor der Nase und auch seine Ruhe. Und München ist auch durch die gastronomischen Entwicklungen der vergangenen Jahre spannender geworden: von Streetfood bis zu österreichischer Klassiker-Küche, von einer jungen Hochküche bis zu mutigen, coolen Bars.

„Man kann in der bayerischen Wirtschaft jetzt super Wein trinken, genauso wie im Streetfoodtruck oder in der Pizzeria.“

Wie ist München als Weinstadt?

Sehr, sehr gut. Es gibt hier mittlerweile auch eine Szene, die sich interessiert, die neue Einflüsse reinbringt. Nicht nur in den Sternetempeln, sondern auch in den normalen Restaurants. Und man kann in der bayerischen Wirtschaft jetzt super Wein trinken, genauso wie im Streetfoodtruck oder in der Pizzeria. Das liegt aber auch daran, dass wir wirklich tolle Weinhändler in der Stadt haben.

Es ist tatsächlich einfach, für entsprechendes Geld in München sehr gut und sehr abwechslungsreich zu essen. Wie sieht es im weniger hochpreisigen Bereich aus?

Da kommt immer mehr. Das Gasthaus Waltz macht Spaß, das Izakaya Ciao Chang macht Spaß, Caspar Plautz auf die Hand macht Spaß. Und hier und da gibt es immer noch alteingesessene Streetfoodläden wie das Krua Thai, da kann man saugut essen. Oder im Xiang am Messeplatz. Die neapolitanische Pizza-Idee hat sich hier immer weiterentwickelt. Da kann man für 15 Euro eine fantastische Pizza essen. Selbst Meze oder Kebab findet man in erstaunlicher Qualität.

Wie geht es der Wirtshauskultur?

Ich finde das Wirtshaus Eder im Westend stark. Ich habe selten eine so gute Brühe gegessen wie dort. Und das ist immer ein gutes Zeichen. Ich schätze zum Beispiel auch das Weiße Bräuhaus. Wenn man auch ein junges Publikum und ein bisschen mehr Action will, ist das Xaver's immer eine Topadresse. Da kann man auch sensationell essen für jeden Geldbeutel.

Gibt es bayerische Gerichte, die Sie in unserer Wirtshausküche vermissen?

Innereienküche. Da gibt es ja in München oder in der Umgebung nur wenige, die das machen, also von Bries bis zu saurem Lüngerl. Auch richtig gute selbst gemachte Sülzen findet man selten. Und: hausgemachte Käsespätzle, bei denen auf die Sahne verzichtet wird.

Ich freue mich immer irrsinnig, wenn ich im Wirtshaus einen richtig guten Knödel bekomme.

Wir machen immer unsere Enten und Gänse zu Weihnachten. Da macht der Joshua immer diese kleinen Minikartoffelknödel – und das ist einfach sauviel Arbeit. Aber ich setze das voraus, ehrlich gesagt, für ein bayerisches Wirtshaus.

Könnten Sie sich vorstellen, Ihren gastronomischen Ansatz auf die bayerische Küche zu übertragen?

So ein Restaurant würde ich wahnsinnig gerne aufziehen. Und das wird dann einfach Heimatküche sein. Was die Knödel angeht: Ich glaube, da müsste man mehrere Monate lang den perfekten entwickeln. Und wahrscheinlich wird es am Ende doch wieder der, den jemand so vor 100 Jahren schon gemacht hat.

 

 

Interview: Nansen & Piccard; Fotos: Frank Stolle

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