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Tag des barrierefreien Tourismus

einfach miteinand – barrierefrei durch München

Tag des barrierefreien Tourismus der Landeshauptstadt München am 26. Juni 2023: Über die Chancen und Herausforderungen diskutierten Expert*innen und Entscheider*innen aus Hotellerie und Gastronomie in den Design Offices Campus Königsplatz.

Barrierefreiheit ist kein notwendiges Übel, sondern ein Vorteil für alle"

Beim Tag des barrierefreien Tourismus sind sich alle einig: Es solle keine Unterschiede mehr geben zwischen Menschen ohne und Menschen mit Beeinträchtigungen. Alle Menschen sollen in Hotels und Gaststätten Gäste sein und sich wohlfühlen können. Von links: Steffen H. Seichter (General Manager des Scandic Hotels Hamburg Emporio), Benedikt Brandmeier (Leiter Geschäftsbereich Tourismus, Veranstaltungen, Hospitality, Referat für Arbeit und Wirtschaft der Landeshauptstadt München), Clemens Baumgärtner (Referent für Arbeit und Wirtschaft der Landeshauptstadt München), Verena Bentele (zwölffache Paralympics-Gewinnerin), Dr. Stefan Arend (Institut für Sozialmanagement und neue Wohnformen, Lehrbeauftragter der Technischen Universität München), Nikolaus Jagersberger (Design Offices München), Gerhard „Willi“ Willmann (Moderator).

Ob Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen, vorübergehend oder chronisch Kranke, Familien mit kleinen Kindern oder Reisende mit schwerem Gepäck: Barrierefreiheit ist für viele Menschen ein zentrales Thema im Alltag. „Für rund 10 Prozent der Bevölkerung ist sie zwingend erforderlich, für etwa 30 bis 40 Prozent notwendig und für 100 Prozent komfortabel“, erklärte Verena Bentele, Weltbehindertensportlerin und heutige Keynote-Speakerin.

In ihrem Vortrag motivierte die von Geburt an blinde Wahlmünchnerin rund 80 Vertreter*innen von Hotels, Gaststätten und weiteren touristischen Leistungsträgern sowie der Behindertenverbände aus München und Oberbayern, besser und individueller auf die Bedürfnisse und Wünsche von Gästen mit Beeinträchtigungen einzugehen.

Barrierefreiheit muss eine Selbstverständlichkeit werden"

„Barrierefreiheit ist kein notwendiges Übel, sondern ein Vorteil für alle. Barrierefreiheit muss eine Selbstverständlichkeit werden“, forderte Bentele, die sich seit vielen Jahren für echte Teilhabe, freie Bewegung und freie Entfaltung aller Menschen stark macht. Es ist wichtig, dass wir ein Bewusstsein für Barrierefreiheit schaffen. Barrierefreiheit ist ein gesamtgesellschaftliches Thema, kein Nischenthema“, betonte die Paralympics-Siegerin im Biathlon und Langlauf.

 

Barrierefreiheit bedeutet Komfort"

Barrierefreie Angebote sieht Bentele als große Chance für Touristiker*innen: „Barrierefreiheit hat Sinn und Effekt für alle Menschen, die Komfort erleben wollen.“ Barrierefreiheit müsse aber mitgedacht werden. Von Anfang an sollten Expert*innen und Betroffene in Planungen einbezogen werden. Den jeweiligen Zielgruppen müssten nutzenorientierte Informationen in leichter Sprache bereitgestellt werden. Die gute Auffindbarkeit der Angebote sei essenziell. Touristische Leistungsträger könnten sich so neue Zielgruppen erschließen. Dass Hotels derzeit nicht immer nutzerfreundlich für Menschen mit Unterstützungsbedarf sind, erlebe sie auf ihren vielen Reisen regelmäßig.


„Barrierefreiheit ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor“

„Wir sind auf einem guten Weg, was den Ausbau München zu einer attraktiven Destination für Gäste mit Beeinträchtigungen betrifft. Alle unserer Gäste sollen sich willkommen fühlen. Barrierefreiheit muss zukünftig noch stärker in den Fokus rücken. Das gilt auch für die Barrierefreiheit auf unseren Veranstaltungen wie dem Oktoberfest oder dem Christkindlmarkt. Die Entscheiderinnen und Entscheider aus Hotellerie, Gastronomie und anderen touristischen Leistungsträgern möchte ich ermutigen, vielfältige Angebote zu entwickeln und diese deutlich sichtbar zu machen. Barrierefreiheit ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, unterstrich Clemens Baumgärtner, Referent für Arbeit und Wirtschaft der Landeshauptstadt München. „Barrierefreier Tourismus ist eines der wenigen Segmente mit Wachstum und großem ökonomischen Potential.“

Zertifizierung „Design Offices Campus Königsplatz“ und „Die Macherei“ durch „Reisen für Alle“

Die „Design Offices Campus Königsplatz“, bei denen wir heute zu Gast sind, sowie „Die Macherei“ in Berg-am-Laim sind den Schritt zur Barrierefreiheit bereits gegangen und haben sich von „Reisen für alle“ zertifizieren lassen, freute sich Benedikt Brandmeier, Geschäftsbereichsleiter Tourismus, Veranstaltungen und Hospitality im Referat für Arbeit und Wirtschaft, bei der Überreichung der Urkunde an den Community Manager der Design Offices, Nikolaus Jagersberger.

„Reisen für Alle“ ist die bundesweit gültige Kennzeichnung im Bereich Barrierefreiheit. Gäste mit Einschränkungen finden auf der Plattform geschulte und qualifizierte Gastgeber sowie Tourismus- und Freizeiteinrichtungen. München wurde als Pilotdestination in Bayern für ein barrierefreies „Reisen für Alle“ ausgewählt.

 

Engagement aus Überzeugung – Abbau von Hürden

„Wir sind mit unseren Partnern aus dem Tourismusinitiative München e.V. einig, dass Barrierefreiheit für unsere Gäste und die Bürger*innen der Stadt von zentraler Bedeutung ist“, betonte Brandmeier. „Beide Gruppen wollen sich gleichermaßen gut aufgehoben und willkommen fühlen. Um die Stadt mit ihrem „München-Mix“ aus Weltoffenheit und Tradition für alle ohne Hürden erlebbar zu machen, haben wir zahlreiche Maßnahmen aufgesetzt:

  • Installation von Induktionsanlagen für Schwerhörige in den Tourist Infos.
  • Alle Veranstaltungen von München Tourismus, so auch die heutige, werden mit Gebärden- und Schriftdolmetschung begleitet.
  • 2000 haben wir als weltweit erste Destination Gehörlosen-Gästeführer*innen ausgebildet.
  • Für Gäste mit Hörbehinderung kann jede München-Führung unserer zertifizierten Gästeführer*innen auf Wunsch mit einer mobilen Induktionsanlage ausgestattet werden.
  • Im Rahmen einer Gästeführung "mit viel Gefühl" für Sehbehinderte machen unsere speziell geschulten Guides mit detailgetreuen Gebäudebeschreibungen und vielen Tastmöglichkeiten die Stadt erfühl- und erfahrbar.
  • Langjährige Zusammenarbeit mit dem Behindertenbeirat der Stadt München, dem Club Behinderter und ihrer Freunde CBF e.V. sowie weiteren Behindertenverbänden.
  • Ausrichtung des Tags des barrierefreien Tourismus (nach 2014 zum 2. Mal)
  • Für mobilitätseingeschränkte Bürger*innen, sowie für Münchens Gäste unserer Stadt, bieten wir den Bus- und Bahn-Begleitservice München sowie den Elektromobil-Verleih im Tierpark Hellabrunn und im Olympiapark an. Die Projekte stehen kostenfrei zur Verfügung und werden durch das Münchner Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramm (MBQ) finanziert.

„Barrierefreiheit betrifft uns alle einmal, ob wir wollen oder nicht“

Laut Statistischem Bundesamt leben 7,8 Millionen schwerbehinderte Menschen in Deutschland (Erhebung 2021). Die wenigsten Behinderungen sind angeboren – neun von zehn schweren Behinderungen werden durch Krankheiten oder Unfälle verursacht.

Dass Barrierefreiheit jedoch für uns alle früher oder später ein wichtiges Thema sei, darauf verwies Sozialmanager Dr. Stefan Arend. Der Leiter des Instituts für Sozialmanagement und neue Wohnformen und Lehrbeauftragter der Technischen Universität München verwies auf den demografischen Wandel: Laut einer Vorausberechnung des Statistischen Bundesamtes werden in gut zehn Jahren mindestens 20 Millionen Menschen in Deutschland 67 Jahre oder älter sein – etwa vier Millionen Menschen mehr als derzeit.

 

Gesellschaft des langen Lebens – Wettbewerbsvorteil für barrierefreie Gaststätten und Hotels

In den vergangenen 30 Jahren haben die Menschen in Deutschland im Schnitt sieben Jahre Lebenszeit hinzugewonnen. Wir entwickeln uns zu einer Gesellschaft des langen Lebens. Mit dem Anstieg des Durchschnittsalters und der Lebenserwartung nimmt auch der Anteil von Menschen mit körperlichen Einschränkungen zu, Bedürfnisse und (Gäste-)Ansprüche ändern sich. Aber genau diese Veränderungen der Wünsche und Erwartungen, der Bedürfnisse und des körperlichen Zustandes müssten als Chance gesehen werden.
Neue Produkte und (Dienst-)Leistungen für Menschen mit Beeinträchtigungen müssten zur Verfügung gestellt werden beziehungsweise Produkte und Leistungen angepasst und verändert werden. „Gaststätten und Hotels, die sich auf die Anforderungen und Bedürfnisse dieser Zielgruppe einstellen, verschaffen sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil“, so Dr. Arend weiter.

„Heutige Senioren mögen keine Seniorenteller“

Dass in der Kommunikation das Wording angepasst werden müsse, strich der Ex-Vorstand renommierter Senioreneinrichtungen heraus. Die heute 70-Jährigen seien im Vergleich zu den Älteren früherer Generationen vielfach deutlich aktiver, gesünder und konsumfreudiger. Entsprechend wollen sie angesprochen werden – Stichwort Speisekarten: „Heutige Senioren mögen keine Seniorenteller.“

 

„Universal Design – Design für alle“

Arends plädierte für ein „Universal Design“, Design, das für alle geeignet und nicht stigmatisierend sei, da es niemand, der irgendeiner Form der Norm nicht entspräche, ausschlösse.

Das internationale Designkonzept gestaltet Produkte oder Umgebungen und Systeme derart, dass sie von Menschen ohne Zusatztechnik oder Anpassung von Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten in unterschiedlichen Situationen benutzt werden können.

„Respekt“, Kompetenz, Herzlichkeit“

Bei der anschließenden Podiumsdiskussion waren sich die Teilnehmer*innen einig, dass sich in der Tourismusbranche noch einige Grundsatzblockaden auflösen müssten. Man habe häufig die Gäste mit besonderen Bedürfnissen nicht als relevante Zielgruppe auf dem Schirm. Bis die gesamte Customer Journey barrierefrei sei, vom Auffinden der passenden Angebote, über die Anreise, die Hotelausstattung, dass Wording, den Umgang mit Personen mit speziellen, müsse noch einiges passieren. Kornelia Grundmann, die mit ihrer Agentur Hotels und andere Unternehmen zur Barrierefreiheit berät, wünschte sich, dass barrierefreie Angebote bei touristischen Leistungsträgern so selbstverständlich seien, wie das Anschnallen im Auto. Es solle normal sein, z.B. in einem Hotel, Gäste mit Einschränkungen zu empfangen, betonte auch Marlene Entner, vom Hotel Pfandler in Tirol. Dies spiegle sich in den Kernwerten ihres Hauses wider: Respekt, Kompetenz und Herzlichkeit.

 

 

 

Fotos: Andreas Gebert, Text: München Tourismus