Die Kabarettistin Claudia Pichler steht auf einer Bühne und spielt auf einer Gitarre.

Fachgespräch mit Claudia Pichler

„Den Humor nicht zu verlieren, das ist schon was Bayerisches“

Wenn jemand bayerischen Humor erklären kann, dann Claudia Pichler: Die Kabarettistin gilt als „Fachfrau fürs Bayerische“. Ein Gespräch über Bayerns Humor, Lebensart und Sprache, ins Hochdeutsche übersetzt.

Wer Claudia Pichler zum ersten Mal trifft, könnte sie womöglich unterschätzen: Statt einer Rampensau sitzt da eine Frau, die lieber die leiseren Töne wählt – und im nächsten Moment erklärt, wie man „einen Arschknödel verpasst“. Die Münchnerin, Jahrgang 1985, hat den bayerischen Humor studiert wie kaum jemand und mit einer Doktorarbeit über den Kabarettisten Gerhard Polt Grundlagenforschung betrieben. Heute tritt Pichler selber als Kabarettistin auf und freut sich nach eigener Aussage jedes Mal, wenn sie über einen (fast) vergessenen bairischen Ausdruck stolpert. Auch dafür wurde sie 2023 mit dem Dialektpreis Bayern (für Oberbayern) ausgezeichnet.

 

Frau Pichler, Sie gelten – auch dank Ihrer Auftritte in der Sendung „Grünwald Freitagscomedy“ im Bayerischen Fernsehen – als „Fachfrau fürs Bairische“. Wie gefällt Ihnen die Rolle?

Sie passt zu mir. Für die Sendung recherchiere ich typisch Bayerisches, das ich selber interessant finde, und spinne es weiter. Und ich bin erstaunt, wie viele Leute das immer wieder für ernst nehmen und nicht erkennen, was wahr ist und was ich dazugedichtet habe.

Dabei könnte man manchmal draufkommen. In einem Stück stellen Sie das Raffa (Raufen, Anmerkung der Redaktion) als aussterbende Sportart vor, bei der sich Passanten im Englischen Garten schon mal eine Gnackwatschen (Nackenschlag) zu Trainingszwecken einfangen …

Der Teil ist natürlich Schmarrn. Aber früher ist in Bayern tatsächlich mehr gerauft worden, und der Ursprung dieser Nummer waren die Fachbegriffe, die ich dazu gefunden habe, zum Beispiel „einen Arschknödel verpassen“ (mit dem Knie ins Gesäß treten). Im Internet hat deshalb jemand unter das Stück geschrieben: „Das ist ja gewaltverherrlichend!“ Da merkt man schon, im Bereich vom Humor gibt's immer den Sender und das Publikum. Und wie das die Witze auffasst, hat man nicht in der Hand.

Fern von Bayern hat das Bairische einen Exoten-Bonus. Da amüsiert man sich schon allein über den Klang.

Bevor Sie auf die Bühne gestiegen sind, haben Sie im Germanistikstudium einen der großen bayerischen Kabarettisten erforscht. Titel Ihrer Doktorarbeit: „Fremdheit bei Gerhard Polt“. Klingt gar nicht lustig.

Nein, gar nicht! Es ist ja auch eine wissenschaftliche Arbeit. Aber den Aspekt der Fremdheit habe ich spannend gefunden: Warum funktioniert der Polt so gut? Das liegt auch daran, dass er bestimmte Typen so gut auf die Bühne bringt. Man hat das Gefühl, man kennt die. Ständig grenzen sie sich ab gegenüber Andersdenkenden, Andersgläubigen, Ausländern – und sagen dabei so viel über sich selber und ihre Ängste aus.

Funktioniert diese Art des Humors auch außerhalb Bayerns? In Berlin in der Kiezkneipe?

Ich glaube schon, aber anders. Fern von Bayern hat das Bairische einen Exoten-Bonus. Da amüsiert man sich schon allein über den Klang. Das bayerische Selbstbild wird manchmal von außen auch belächelt.

Das Kraftmeierische.

Ja, und wenn man sich manche politische Rede aus Bayern anschaut, dann wird das auch zu Recht belächelt. Oder es wird erst gar nicht verstanden.

Den Humor nicht zu verlieren, auch wenn man nichts machen kann, das ist schon was Bayerisches.

Gibt's einen spezifisch bayerischen Humor? Oder ist Polt Ausdruck davon?

Wenn ich das wüsste! In Bayern finden sich traditionell eine barocke Lebensart und Katholizismus. So strenggläubig man früher war, im katholischen Glauben war immer schon Raum für Humor. Außerdem braucht es für den bayerischen Witz eine Portion Hinterfotzigkeit. Auch in tragischen Situationen hilft der Humor, er ist quasi Notwehr. Den Humor nicht zu verlieren, auch wenn man nichts machen kann, das ist schon was Bayerisches.

Wie viel bei solchen Witzen macht die Sprache aus? Manchmal kann man ja auf Bairisch Sachen sagen, die man sich auf Hochdeutsch nie trauen täte – und wenn doch, die dann falsch verstanden würden.

Im Bairischen sagen wir oft etwas im Konjunktiv oder deuten es an. Das klingt nicht so absolut, deshalb verzeiht man mehr. Das Bairische hat für mich auch mehr Facetten als das Deutsche, drum kann man viele Sachen schöner sagen. Früher hat man sich sogar bei Beleidigungen mehr Mühe gegeben. Wenn du jemandem wünschst, er soll in der Odelgruben dasaufen (in der Jauchegrube ertrinken), dann hast du dir extra fürs Gegenüber etwas ausgedacht.

Sie sind bilingual aufgewachsen: bairisch und deutsch.

Es war lange nicht üblich, Dialekt zu sprechen, da galt man als blöd. In der Schule habe ich total umschalten und reines Hochdeutsch reden können. Aber ich glaube ja, dass Dialekt eine Bereicherung ist. Ein Gedicht ist im Dialekt zum Beispiel viel geschmeidiger, da bin ich näher dran an allem, was Gefühl ist. Du kannst auf Bairisch in ein paar Worten sagen, wofür du im Deutschen einen komplizierten Satz machen musst.

Bei „Griaß di“ geht mir das Herz auf. Das ist eine viel freundlichere und persönlichere Ansprache als alles, was ich auf Hochdeutsch sagen würde.

Als Dialektsprecher ist man ja häufig der Frage nach Lieblingswörtern ausgesetzt. Wie lautet Ihres?

Mei, da könnte ich mich schwer entscheiden. So banal es klingt: „Griaß di“ (Grüß dich) ist meine Lieblingsbegrüßung. Es gibt ja Leute, die würden gern Bairisch reden und schaffen es nur bis zum „Servus“. Aber bei „Griaß di“ geht mir das Herz auf. Das ist eine viel freundlichere und persönlichere Ansprache als alles, was ich auf Hochdeutsch sagen würde. Oder so was wie „Klapperl“ (Schlappen), das klingt einfach so nett.

Es gibt auch Wörter, für die sich nur schwer hochdeutsche Entsprechungen finden, „Baz“ etwa. Ich wüsste gar nicht, wie ich das übersetzen soll, wenn der Hund „in den Baz einihupft“ – „in den Schlamm hineinspringen“ wäre nicht dasselbe.

Nein, weil beim Baz sowohl das Geräusch als auch das Gefühl mitschwingt. Bei Schimpfwörtern sag ich oft, dass jemand a Gletz ist.

A Gletz?

A Gletz ist jemand, der mich nervt. „Depp“, das wär mir schon zu unspezifisch.

Sie haben vorhin gesagt, es gibt immer Sender und Publikum. Wer also solche Sachen in den falschen Hals bekommt, muss im Zweifel damit leben, oder?

Damit muss man immer leben, und das ist auch das Spannende am Humor. Auch auf der Bühne spürt man ganz unmittelbar, was gut ankommt oder für manche Leute schon zu gach (wild) ist. Da ist ein jeder ganz individuell.

Sprache und Gesellschaft ändern sich, eigentlich alles. Macht es das schwieriger oder spannender für eine Kabarettistin?

Ich mag es, wenn alles in Bewegung bleibt und man Sachen in der Gesellschaft neu verankern kann. Wie lang das dann gültig ist, kann man nie vorhersagen. In der Antike hat jemand mal eine Satire über Roms öffentliche Toiletten geschrieben. Die waren zwar eher unangenehm – aber er hat draus gemacht, dass die Leute dort gerne sitzen, sich verabreden und sogar politische Sachen verhandeln. Und ich weiß nicht, wie lange man das tatsächlich geglaubt hat, bis sie dem Schmarrn draufgekommen sind. Aber wenn du eine Gesellschaft nicht kennst, dann wirst du auch den Humor nicht verstehen.

Dann stehen die Chancen ja gut, dass Ihr „Raffa“-Stück irgendwann in tausend Jahren ausgegraben wird.

Genau! Und dann denken sich die Leute, die in Bayern sind damals immer spazieren gegangen – bis ihnen plötzlich jemand eine mitgegeben hat.

 

 

Interview: Nansen & Piccard; Fotos: Frank Stolle

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