In München, so scheint es manchmal, bekommt man leichter einen Termin beim Notar als abends spontan einen Platz im Restaurant. OpenTable-, Bookatable- und Reserviert-Schilder besetzen die Tische der Stadt. Der Münchner Gastronom Stefan Oelze leitet seit 2012 das Restaurant La Kaz im Westend und hält dort ein Drittel der Plätze permanent für hungrige Laufkundschaft frei. Ein Gespräch über Fluch und Segen der Reservierungslust, unsichtbare Gäste und darüber, wie man sein Abendmahl eben doch en passant auswärts genießen kann.
Es ist nicht ganz einfach, in München ohne Reservierung spontan einen Tisch zu bekommen. Woran liegt das?
Vor knapp zehn Jahren hat die Digitalisierung auch die Gastronomie erreicht. Anstatt tagsüber anzurufen, um einen Tisch zu reservieren, ging das plötzlich 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, von der Couch oder vom U-Bahnsteig aus. Gerade ausländische Touristen finden sich online leichter zurecht und müssen nicht die Sprachbarriere am Telefon überwinden.
Inwiefern profitieren Gastronom*innen von festen Reservierungen?
Speziell das Onlinebooking ist für uns Gastronomen ja auch entspannter. Viele Leute sind richtig böse, wenn man nicht sofort an den Hörer springt oder auf ihre E-Mail antwortet. Und ein Papierkrieg ist das offline! Ich sag’s ganz ehrlich, für den ganzen Bürokratiekram bin ich einfach zu faul. Am Bildschirm seh’ ich lesbar, wie viele Gäste wir erwarten, und kann den Einkauf entsprechend kalkulieren. Wenn sich eine große Gruppe ankündigt, kann man gemeinsam ein individuelles Menü oder Vorspeisenplatten besprechen. Am Ende des Tages müssen weniger Lebensmittel im Müll landen.
Der Fluch der Onlinebuchung nennt sich No-shows: Leute reservieren einen Tisch, kommen dann aber nicht.
Oder sie reservieren gleich in drei Restaurants und bleiben dann doch zu Hause. Oder sie buchen einen Tisch für acht Personen, obwohl sie nur zu zweit sind. Eine Reservierung per Telefon oder per Mail erscheint vielen verbindlicher. Online fällt der persönliche Kontakt flach, und die Hemmschwelle, den Gastgeber einfach sitzen zu lassen, ist praktisch nicht vorhanden. Man muss nicht einmal eine Ausrede erfinden.
Haben Sie schon mal eine Reservierung verweigert?
Viel kann man als Gastronom nicht machen. Aber die Namen von zwei No-show-Kandidaten habe ich mir mal gemerkt. Als Gastgeber kann ich Onlinebuchungen auch ablehnen.
„Wir setzen hier keinen vor die Tür – außer jemand mag wirklich gern draußen in der Sonne sitzen."
Wenn man aber keine bösen Absichten hat, sondern einfach nur krank geworden ist?
Es kommt auf den Umgang miteinander an. Wenn sich einer vorher freundlich entschuldigt oder rechtzeitig seine Onlinebuchung storniert, ist das ok. Ohne Absage nicht aufzutauchen, ist unschön. Das würde man privat auch nicht machen.
Schon mal eine Reservierung bevorzugt?
Bei mir gilt Chancengleichheit: Wer zuerst kommt, isst zuerst. Ich lasse auch Freunde warten, wenn die nicht reserviert haben und nichts frei ist. Im Grunde profitieren spontane Gäste auch von No-shows. Wir lassen jede Reservierung 15 bis 25 Minuten lang stehen, danach wird der Tisch neu vergeben. Das Warten dauert nur einen kleinen Spaziergang um den Block.
Es gibt einige Restaurants, in denen man gar nicht reservieren kann. Ganz schön mutig.
Das können sich vor allem Gastronomen leisten, deren Restaurants im Zentrum und an Touristen-Hotspots liegen oder die sich direkt am Bahnhof oder Flughafen befinden. Die wissen ja, dass es jeden Tag voll wird, und müssen nicht befürchten, dass der Laden leer bleibt.
Im La Kaz bleibt ein ganzes Drittel der Plätze frei.
Ich habe für mich einen guten Kompromiss gefunden, der meinen Gästen alle Optionen lässt, bei dem ich selbst aber nicht auf der Strecke bleibe. Ich kann solche Läden nicht leiden, wo man merkt, dass es nur ums Geld geht. Da werden Gäste nach eineinhalb Stunden einfach rausgeschmissen, damit gleich die nächste Ladung abkassiert werden kann. Wenn dann auch noch der Service lahm ist, heißt es: nicht kauen, schlucken!
Der Verbleib ist im La Kaz aber auch auf zwei Stunden begrenzt.
Wir wissen aus Erfahrung, dass unsere Gäste im Schnitt zwei Stunden bleiben. Wer länger sitzen mag, muss uns nur vorher per Mail oder Kommentar Bescheid geben. Wir setzen hier keinen vor die Tür – außer jemand mag wirklich gern draußen in der Sonne sitzen. Die Außenplätze reservieren wir auf Wunsch auch.
„Gourmetrestaurants sind auch nicht immer ausgebucht und müssen sich mit No-shows rumärgern."
Noch eine Idee, wie sich der spontane Hunger ohne Platzhalter stillen lässt?
Gut ist, wenn der Hunger früh anklopft – um 18 Uhr findet sich immer was, erst ab 20 Uhr wird es schwieriger. Und man sollte auch mal über den Tellerrand blicken, aus dem geballten Zentrum raus in die umliegenden Viertel, da gibt es genug und immer mehr richtig gute Läden. Münchner gehen außerdem vor allem am Wochenende essen. Touristen sollten den besonderen Samstagabend im Szenerestaurant einfach rechtzeitig planen, und können sich unter der Woche treiben lassen.
Sie haben schon für gehobene Gastronomie wie das Le Gourmet und im Vier Jahreszeiten gekocht. Sollte man sich einen Spontanbesuch in der Spitzenklasse lieber gleich abschminken?
Gourmetrestaurants sind auch nicht immer ausgebucht und müssen sich mit No-shows rumärgern. Versuchen kann man es also auf jeden Fall.
La Kaz, Ligsalzstraße 38
Cooperativa, Jahnstraße 35
Sushi Sano, Brunnstraße 6
Trachtenvogl, Reichenbachstraße 47
Attentat Griechischer Salat, Zugspitzstraße 10
Pfälzer Weinstube, Residenzstraße 1 (zunächst bis Jahresende)
Takumi, Heßstraße 71
Nage und Sauge, Mariannenstraße 2
Little Wolf, Pestalozzistraße 9
Hofbräuhaus, Bierhalle (Schwemme) und Biergarten, Platzl 9
Cotidiano (an Wochenenden und Feiertagen keine Reservierungen),
Gärtnerplatz 6 / Hohenzollernstraße 11 / Maxburgstraße 4 / Schleißheimer Straße 93