Im Sommer treffen sich viele Leute abends am Isarufer in München.

Viertelliebe: Haidhausen-Au

Land am Wasser

München liegt zwar nicht am Meer, ein Strandleben gibt es aber trotzdem. In der Au – einem Viertel, das seit Jahrhunderten in einer Symbiose mit der Isar lebt.

Wer in der Au wohnt, der lebt an der Isar, mit der Isar und manchmal auch in der Isar, vor allem im Sommer, ein paar wenige aber auch im Winter. Dieses Viertel, es reicht in seinem unteren Teil von der Wittelsbacherbrücke im Süden bis zur Ludwigsbrücke und dem Müller'schen Volksbad im Norden, liegt in seiner kompletten Länge am Fluss. Deshalb auch sein Name, der auf die erste Erwähnung des Landstrichs im Jahr 1340 als „Awe ze Gyesingen“, Land am Wasser bei Giesing, dem benachbarten Stadtviertel, zurückgeht.

„Wer in der Au wohnt, der lebt an der Isar, mit der Isar und manchmal auch in der Isar.“

In dieser Zeit war die Au noch ein Fischerdorf, später entstanden Mühlen an den Isarabzweigungen Entenbach und Mühlbach, der das Viertel bis heute durchzieht. Tagelöhner und Arbeiter zogen ab dem 15. Jahrhundert in das Land am Wasser, um beim Bau der Frauenkirche (Beginn 1468) oder der Residenz (Beginn im frühen 16. Jahrhundert) Geld zu verdienen. Arbeiterviertel blieb die Au bis weit in das 20. Jahrhundert hinein. Arm waren die Leute dort, manche auch kriminell. Als grobe, liebevoll hinterfotzige Hallodris waren die Auer in München bekannt, bis sie offiziell nach der Eingemeindung 1854 zur Stadt gehörten.

Die Veränderungen über die Jahrhunderte waren also groß, heute ist von der Vergangenheit als Arbeiterviertel nur noch wenig zu spüren, doch eine Sache hatte über die ganze Zeit weiter Bestand: die Nähe zum Fluss, zum Wasser, das aus den Alpen kommend, frisch und kühl an Menschen und Stadt vorbeiströmt. Diese Nähe prägt die Au bis in die Gegenwart.

Wenn man heute in der Au aufwächst, dann geht es einem nicht anders als den berühmten Söhnen des Viertels wie Karl Valentin oder Ossi Oberleitner. Das Isarufer bildet den Dreh- und Angelpunkt der Jugendjahre. Multikünstler und Stadtlegende Valentin wurde in der Zeppelinstraße 41 (früher noch Entenbachstraße 63) geboren, sie liegt direkt an der Isar mit Blick auf die Museumsinsel, die damals noch Kohleninsel hieß, weil dort vor dem Bau des Deutschen Museums Holz und Kohlen für die Stadt gelagert wurden. Auf der Insel hat der stets zu Blödsinn und Streichen aufgelegte Karl sicher viele Stunden seiner Kindheit verbracht.

Und er fuhr Schlittschuh vor dem Muffatwerk – ja, es gab Zeiten, da fror die Isar noch stellenweise recht dick zu. Valentin schrieb: „Wird die Eisdecke wässerig, so ist das ein Zeichen der Gefahr … Aber für uns begann jetzt erst das richtige Vergnügen: ‚Wer traut sich noch umi fahrn?‘ hieß es. ‚Vale, lass de koan Drenza hoassn, packs no moi (Vale, sei kein Muttersöhnchen, versuch es nochmal)!‘ – Und ich sauste über die ungefähr fünfzig Meter langen gefährlichen Stellen, hinter meinen Füßen krachte und knirschte es unheimlich, meine Kameraden hinter mir drein. Gut angekommen, Applaus auf der Brücke, und am anderen Ufer.“

Valentin brach dann trotzdem ein, davon blieb ihm eine Asthmaerkrankung. Seine Zuneigung zum Fluss konnte das nicht trüben. Der letzte Satz seines Gedichts „Ich bin erst kurz beim Fußballkampf gewesen“ lautet, nachdem er seiner Fußballabscheu Ausdruck verliehen hat: „Mein Herz, das wohnt am Isarstrand.“

Ähnliches hätte wohl Ossi Oberleitner gesagt, der 1930 in der Gebsattelstraße geboren wurde. Seine Lebensgeschichte als Münchner Rotlichtgröße hat der Autor Hans Mühlberger in seinem Buch „Der Stenz von der Au“ aufgeschrieben. Oberleitner spielte mit seinen Freunden in den Isarauen Fußball, feierte an der Isar, verführte dort Frauen und küsste sie am Wasser. Damals in den 1940er- und 1950er-Jahren war alles ein bisschen wilder als heute, Oberleitner und Freunde hantierten etwa mit zufällig gefundener Weltkriegsmunition herum, warfen Granaten in den Mühlbach. Ein Auer Strizzi eben.

„München liegt zwar nicht am Meer, aber auf die spielerische Leichtigkeit des Strandlebens mag man nicht verzichten. Die Au macht’s möglich.“

Es gibt sie sicher heute noch, die Mädels und Jungs aus der Au, die gerne mal über die Stränge schlagen, vielleicht nicht so ausschweifend grenzenlos wie der Ossi, aber doch mehr als andere. Im Sommer findet man sie bestimmt am Isarstrand zwischen Wittelsbacherbrücke und Deutschem Museum, diesem Streifen aus Wiesen und Kiesbänken, die seit der 2011 abgeschlossenen Renaturierung der Isar endlich wieder direkten Zugang zu den Fluten erlauben. Dieser Stadtstrand, von einigen liebevoll Monacocabana genannt, verwandelt sich ab Mai zum brodelnden und wuseligen Zentrum der Stadt. Hier trifft man sich ab dem frühen Nachmittag, je nach Alter und Arbeitsverhältnis, zum Sonnenbaden und Palavern.

Man kann sich wunderbar von den im Sonnenlicht glitzernden Fluten ab der Weideninsel bis zur Reichenbachbrücke treiben lassen. Die Isarkiesel knistern unter den Füßen, das Wasser bringt Abkühlung, das Getümmel am Strand driftet vorbei. Es ist einer dieser schwerelosen München-Momente, während derer die Stadt einem eine Auszeit vom Alltag schenkt. Weiter drüben, in den Straßen der Au, strömen Menschen in Badehose und Bikini Richtung Wasser, als wären sie in Nizza.

„Man kann sich wunderbar von den im Sonnenlicht glitzernden Fluten ab der Weideninsel bis zur Reichenbachbrücke treiben lassen. Es ist einer dieser schwerelosen München-Momente.“

Später dann am Abend wechselt die Szenerie. Biertrinken, Picknicken, Musikhören, Flirten, Knutschen und Kuscheln übernehmen. Die Sonne geht hinter der Maximilianskirche unter, das Licht der Dämmerung tunkt die Monacocabana in unwirklich wunderbare Blautöne. Niemand geht nach Hause. In Grüppchen sitzen sie am Strand, die Gesichter erleuchtet von Smartphones, Zigarettenglut und Kerzen, und feiern den Augenblick. München liegt zwar nicht am Meer, aber auf die spielerische Leichtigkeit des Strandlebens mag man nicht verzichten. Die Au macht's möglich.

Das ist der Sommer. Doch auch im Winter können manche Menschen des Viertels vom Isarwasser nicht lassen. Zum Schlittschuhfahren wie beim Valentin fehlt es an Gefrorenem, Eisbaden geht aber immer. Also versenken sie ihre blassen Winterkörper in den Fluten, schnaufen hektisch und steigen krebsrot wieder heraus. Ihr Grinsen erzählt von einer Quälerei, die zu einem Vergnügen wird, wenn sie vorbei ist. Wer's mag! Andere machen Yoga oder Qigong am Ufer, tanzen in den Isarauen zu bestimmten Choreografien oder foltern sich beim Crossfit. Richtig still ist es an der Isar in der Au nie.

Manchmal meldet sich auch der Fluss selbst. Im Sommer nach starken Regenfällen oder im Frühling, wenn im Karwendel der Schnee schmilzt. Dann führt er Wasser bis knapp an die Ufergrenzen. Vom Strand sieht man dann nichts mehr, die Isar überragt ihn meterhoch. Das Hochwasser drückt das Grundwasser in die Keller in Flussnähe. In der Au kommt man der Isar eben nicht aus. Selbst wenn man nicht zu ihr geht, sie kommt irgendwann zu einem. Die Leute, die in der Au leben, sind Teil einer jahrhundertealten Symbiose. Menschen und Fluss, Land und Wasser sind hier untrennbar miteinander verbunden.

 

 

Text: Nansen & Piccard; Fotos: Frank Stolle

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