Nahaufnahme einer exotischen Pflanze aus dem Botanischen Garten in München Nymphenburg

Botanischer Garten: Interview mit Mitarbeiterin Christine Bernhauser

„Für mich haben diese Pflanzen ein Eigenleben, eine Persönlichkeit“

Rund 70 Menschen kümmern sich im Botanischen Garten in München unermüdlich um Tausende verschiedene Pflanzenarten. Und nicht immer haben sie eine klassische Karriere im Gartenbau. Christine Bernhauser war zum Beispiel zuerst Bankerin, bevor sie sich in fleischfressende Pflanzen verliebte. Jetzt arbeitet sie im Botanischen Garten und sorgt dafür, dass sie sich wohlfühlen und gedeihen.

Dass die Frau, die neben den Pavillons steht, Christine Bernhauser ist, ist leicht zu erkennen. Auf ihrem T-Shirt ist eine Venusfliegenfalle abgebildet, dazu trägt sie eine Outdoorhose. Bernhauser sieht aus wie eine Person, die gerne draußen ist. Im Botanischen Garten in München ist die Gärtnerin bekannt als „die mit den fleischfressenden Pflanzen“. Sie versucht, deren Bedürfnisse zu erspüren, und sorgt dafür, dass die Pflanzen gedeihen.

Bernhauser führt zu den Pavillons, in denen ihre Pflanzen leben. Kleine Häuschen mit einem Betonsockel, darauf ein weißes Holzgestell, das die großen Glasscheiben einfasst. In einer Ecke wachsen die Venusfliegenfallen, wie auf Bernhausers T-Shirt. Die Fangblätter, innen rot, außen grün, sind nur so groß wie eine Münze.

 

Die Venusfliegenfalle – ist das die fleischfressende Pflanze, die die meisten kennen?

Ja, die haben viele schon in Filmen gesehen. Aber so große Pflanzen, dass man reinfällt und verdaut wird – das gibt es in echt natürlich nicht. Von den Venusfliegenfallen sind trotzdem viele fasziniert. Ich bitte die Kinder, die Pflanzen nicht zu oft zu ärgern. Das Blatt kann sich nämlich nur wenige Male schließen, bevor es stirbt, und das kostet die Pflanze viel Kraft.

Wie funktioniert der Mechanismus?

Im Inneren der Fangblätter sitzen mehrere Tasthaare. Wenn ein Insekt die einmal berührt, passiert noch nichts. Erst beim zweiten Mal schnappt die Falle zu. Dabei greifen die langen Borsten am Rand der Blätter ineinander, sodass die Insekten gefangen sind.

 

Was fasziniert Sie an den fleischfressenden Pflanzen?

Ich finde es raffiniert, was sich die Natur da ausgedacht hat. Es gibt so viele verschiedene Pflanzen mit unterschiedlichen Möglichkeiten, Insekten zu fangen. Und sie sehen ganz unterschiedlich aus: Es gibt zum Beispiel die bunten Schlauchpflanzen, den gabelblättrigen Sonnentau mit seinen glitzernden Tentakeln. Für mich haben diese Pflanzen ein Eigenleben, eine Persönlichkeit.

Christine Bernhauser hat nicht immer als Gärtnerin gearbeitet. Bis vor 16 Jahren war sie Devisenoptionshändlerin bei einer Bank und oft wahnsinnig gestresst. Dann lernte sie ihren jetzigen Partner kennen, der sich für fleischfressende Pflanzen begeisterte und „mit seinem Sumpf“, wie Bernhauser sagt, bei ihr einzog. Bernhauser nahm ein Sabbatical, verbrachte viel Zeit im Garten, entdeckte ihre Liebe zur Natur – und ihre Begeisterung für die fleischfressenden Pflanzen. Nach einem kurzen Praktikum in einer Gärtnerei wusste sie: „Das ist es, was ich machen möchte.“

An einer Schlauchpflanze, die wie ein hoher, schmaler Trichter aussieht und deren oberer Teil weiß und von roten Linien durchzogen ist, sitzt jetzt eine Fliege. „Oh, das ist gefährlich“, sagt Bernhauser.

Fällt die Fliege gleich dort rein?

Sie ist nah dran. Die Insekten landen auf dem Rand und fallen dann oft in den Schlauch. Wenn sie versuchen, sich zu befreien, rutschen sie noch tiefer hinunter. Im Herbst sind die Schlauchfallen teilweise zu drei Vierteln mit Insekten gefüllt.

 

Haben Sie da manchmal Mitleid?

Ich bin auch tierlieb, da bin ich manchmal hin und her gerissen. Das ein oder andere Mal habe ich auch ein Insekt befreit, das ich in der Schlauchpflanze surren gehört habe. Einmal hat mich dabei eine Biene gestochen – weil ich mich dumm angestellt habe, als ich ihr helfen wollte.

 

Welche Wege haben die Pflanzen noch gefunden, um Insekten zu fangen?

Manche haben Tentakel, die mit Fangschleim überzogen sind. Die Insekten bleiben dann einfach kleben. Manche können ihre Tentakel auch zur Beute hinbewegen und so die Insekten komplett umschließen. Raffiniert finde ich auch den Mechanismus der Saugfalle: Sie arbeitet mit Unterdruck. Wenn ein Insekt sich nähert, geht eine Art kleines Türchen auf und die Pflanze saugt das Insekt ein.

Damit es den Pflanzen in den Pavillons möglichst gut geht, versucht Bernhauser, ihre Bedürfnisse zu erkennen. Wenn es nicht zu heiß ist, öffnet sie die Sonnensegel, damit die Pflanzen genug Licht bekommen. Wenn die Sonne stärker brennt, sorgt sie für Schatten. In einem Gewächshaus, zu dem die Öffentlichkeit keinen Zugang hat, zieht sie Wanzenpflanzen – in Kleinstarbeit.

Wie machen Sie das?

Erst einmal musste ich die Pflanze bestäuben. Normalerweise fällt der Pollen nur durch das Summen des Bestäuberinsekts aus der Pflanze. Das habe ich mit einer Stimmgabel simuliert. Dann habe ich den Pollen gesammelt und mit einem Pinsel auf die Narbe aufgetragen. Nach der Bestäubung entwickelt die Pflanze den Samen. Den habe ich mit leeren Teebeuteln aufgefangen, die ich in die Pflanze gehängt habe.

 

Und dann haben Sie die Samen eingepflanzt?

Genau, aber das ist noch nicht alles. Dort, wo die Wanzenpflanze heimisch ist, gibt es regelmäßig Buschbrände. Die Samen sind darauf angewiesen, um zu keimen. Also habe ich ein Feuer angezündet und die Samen mit Rauch behandelt. Eine Pflanze von der Bestäubung übers Aussähen großzuziehen – das ist ein Erfolgserlebnis, das macht Spaß. Wenn wir so etwas machen, informieren wir auch andere botanische Gärten und fragen, ob sie Samen haben möchten.

 

Und wieso heißen die Pflanzen Wanzenpflanzen?

Es gibt eine bestimmte Wanzenart, die normalerweise auf der Pflanze lebt. Die Pflanze fängt mit ihren klebrigen Blättern Insekten. Die Wanzen fressen die Insekten, und die Pflanze ernährt sich von den Ausscheidungen der Wanzen. Wir haben hier keine Wanzen. Die Pflanzen können aber auch ohne sie ganz gut überleben. Sie können allerdings die Fliegen, die hier überall an der Pflanze kleben, nicht selbst verdauen.

Eine andere Pflanze in dem Gewächshaus hat Trichter, die wie kleine Kloschüsseln geformt sind. Sie heißt Nepenthes jamban. Jamban ist das indonesische Wort für Toilette. Draußen, ein Stück von dem Gewächshaus entfernt, stehen Dutzende Venusfliegenfallen und Schlauchpflanzen in Blumentöpfen. In einer Schlauchpflanze summt ein verzweifeltes Insekt. „Wir verbringen viel Zeit mit raus- und reinräumen“, sagt Bernhauser. „Die Pflanzen sind robuster, wenn sie im Sommer draußen sind.“

Was hat Sie zuletzt besonders gefreut bei Ihrer Arbeit hier?

Wenn eine Pflanze blüht, die vorher noch nicht geblüht hat, ist das für mich ein persönliches Erfolgserlebnis. Die Brocchinia reducta habe ich in meinen 13 Jahren hier noch nicht blühen sehen. Jetzt kommt eine Blüte, und als ich das gesehen habe, habe ich wirklich einen Freudenschrei ausgestoßen.

 

Wenn Sie mal nicht bei Ihren fleischfressenden Pflanzen sind – welche anderen Bereiche mögen Sie hier besonders gern?

Gerade beschäftige ich mich ein bisschen mit Vögeln, deshalb gehe ich in den Pausen gern in den Wald hier im Botanischen Garten. Dort gibt es alte Bäume, wahnsinnig viele Vögel und Bänke zum Sitzen. Im Sommer gehe ich auch gern in die Nutzpflanzenabteilung und schaue mir die Kräuter und das Gemüse an. Der Schmuckhof am Eingang hat im Spätsommer eine prachtvolle Blütezeit. Ich bin wirklich stolz auf meine Stelle hier, und im Rückblick ist es ein Riesenglück, dass mein Freund mit seinem Sumpf bei mir eingezogen ist.

 

 

Text: Nansen & Piccard, Fotos: Frank Stolle

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