Wilhelm Schmid ist Chef des Münchner Schäfflerbunds. Alle sieben Jahre tanzen die Mitglieder dieses Vereins, wie es die Tradition verlangt – dafür wäre jetzt theoretisch wieder eine gute Gelegenheit. Ein Gespräch über Geistertänze und Brauchtum in Krisenzeiten.
Früher gehörten die Schäffler zu München wie die Brauereien, sie fertigten die Fässer, in denen das Bier in die Wirtschaften und in die weite Welt ausgeliefert wurde. Heute gibt es im Stadtgebiet noch genau eine Fassmacherei: die von Wilhelm Schmid in Laim. Damit ist Schmid auch dafür zuständig, die Tradition dieses Münchner Brauchtums am Leben zu erhalten: Nur alle sieben Jahre tritt sein Verein, der Münchner Schäfflerbund, beim berühmten Schäfflertanz öffentlich auf.
Herr Schmid, gemeinsam mit Ihrem Sohn leiten Sie Münchens letzte Fassmacherei. Schaut man als Schäffler anders auf die Corona-Krise?
Das weiß ich gar nicht, wir Schäffler kommen dem Virus ja auch nicht aus. Aber gewisse Parallelen zu früher gibt es natürlich. Der Legende nach ist der Schäfflertanz ja im späten Mittelalter entstanden, als München angeblich von der Pest heimgesucht wurde. Ein Drittel der Münchner Bevölkerung soll daran gestorben sein. Danach war das öffentliche Leben komplett am Boden, die Menschen so verängstigt, dass sie sich nicht mal mehr aus den Häusern trauten. Also haben die Schäffler beschlossen, den Menschen Mut zu machen – indem sie durch die Straßen tanzten.
Um zu zeigen: Schaut her, die Krise ist vorbei?
Genau. Wobei man nicht vergessen darf: Die Situation damals war deutlich schlimmer als heute. Ein Drittel der Münchner Bevölkerung tot, das wären heute ja fast 500.000 Menschen. Es herrschte Hunger, weil die Bauern mit ihren Lebensmitteln vor lauter Angst nicht mehr in die Stadt kamen. Das war schon eine andere Hausnummer.
München hat ja in seiner Geschichte mehrere Epidemien erlebt, im 19. Jahrhundert grassierte zum Beispiel die Cholera. Wie sind die Schäffler mit solchen Krisen umgegangen?
Das müssten wir mal in einem Archiv nachschauen. Aus meiner aktiven Zeit kenne ich das Jahr 1991: Wegen des Ersten Golfkriegs wurden viele Faschingsveranstaltungen abgesagt. In diesem Jahr ist der Münchner Fasching gestorben, davon hat er sich bis heute nicht so recht erholt. Unsere Tänze, die wir eigentlich in der Innenstadt aufgeführt hätten, mussten wir an andere Orte verlagern. Wir wollten unbedingt auftreten, eben, um den Menschen Mut zu machen. Manche Leute haben das aber nicht verstanden und uns regelrecht angefeindet.
So viele Fassmacher gibt es ja nicht mehr in München, um die Tradition aufrechtzuerhalten. Wer tanzt denn heute als Schäffler?
Früher gab es wegen der Brauereien so viele Schäffler, dass für unsere Mitglieder strenge Regeln gegolten haben. Bis 1956 musste man gelernter Schäffler sein, seit mindestens zwei Jahren in München leben, ledig sein und einen guten Leumund haben. Mit dem Aufkommen des Aluminiumbierfasses hat sich die Zahl der gelernten Schäffler immer weiter reduziert, die Regeln wurden gelockert. Um 1977 – da war ich als 20-Jähriger das erste Mal dabei – hatten wir dann die ersten Berufsfremden dabei.
Und heute?
Eine hohe einstellige Zahl unserer Mitglieder sind gelernte Schäffler. Ansonsten haben wir alles dabei, vom Hausmeister bis zum Banker. Man muss Lust drauf haben und Zeit mitbringen, in den Tanzjahren sind wir sechs Wochen pausenlos unterwegs.
In der aktuellen Situation wäre es höchste Zeit, dass Sie den Menschen wieder Mut machen. Doch der nächste Schäfflertanz würde nach Plan erst 2026 stattfinden. Wie stehen die Chancen, dass Sie den Auftritt vorziehen?
Als das mit Corona Fahrt aufgenommen hat, war mein erster Gedanke tatsächlich: Das wäre eine gute Gelegenheit, um außer der Reihe zu tanzen. Die Bedingung ist, dass es von den Infektionszahlen geht. Wenn wir am Marienplatz auftreten, kommen Tausende Leute. Außerdem brauchen wir, anders als die Schäffler im Mittelalter, eine Genehmigung vom Kreisverwaltungsreferat.
Geistertänze kommen für Sie nicht infrage?
Gar nicht! Das haben mir schon ein paar Leute geraten: Dann nehmt es halt auf und übertragt es im Fernsehen. Aber das wäre nicht das Gleiche. Fußballer ohne Publikum, das geht ja vielleicht noch, aber Schäffler ohne Publikum – das funktioniert nicht. Nein, wir müssen Geduld mitbringen. Sogar die Staatskanzlei hat deshalb schon bei mir angerufen.
Der Herr Ministerpräsident?
Er hat gesagt, sobald das alles vorbei ist, wäre er gern bei unserem ersten Tanz dabei. Den Wunsch erfüllen wir ihm gern.