Vor dem Kloster Andechs steht eine lange Mauer sowie ein Zaun

Ich war noch niemals ... im Kloster Andechs

Wallfahrt mit Weißbier

Für die Reihe „Ich war noch niemals …“ besuchen unsere Autorinnen und Autoren Orte in München, an denen sie noch nie waren – und das, obwohl sie seit Jahren oder sogar schon immer in der Stadt leben. Diesmal begibt sich Autorin und Wandermuffel Anja Schauberger auf Wallfahrt nach Andechs.

„Wie weit ist es noch?“, höre ich mich quengelnd den Fotografen Frank fragen, während ich hinter ihm durch den Wald stapfe. Viele Wege führen zum Kloster Andechs, einem der beliebtesten Ausflugsziele im Münchner Umland, und wir haben, so scheint es mir, den längsten gewählt. Schon einige Stunden zuvor sind wir an der S-Bahn-Haltestelle Seefeld-Hechendorf ausgestiegen – der Bahnhof befindet sich unweit des Pilsensees, einem der Underdogs des Fünfseenlands, zu dem auch der Starnberger See, der Ammersee, der Wörthsee und der Weßlinger See gehören. An diesem Bahnhof war ich schon einige Male, und doch ist mir noch nie das Schloss Seefeld aufgefallen, das sich nur eine halbe Stunde Fußweg entfernt befindet.

„Wie weit ist es noch?“, höre ich mich quengelnd den Fotografen Frank fragen. Viele Wege führen zum Kloster Andechs und wir haben, so scheint es mir, den längsten gewählt.

Wie unsere Wanderung bisher verlief? Die Sonne knallte, obwohl es noch nicht einmal Mittag war. Wir liefen an Feldern vorbei, die zum „Blumen selbst schneiden“ einluden und an britischen Touristinnen, die mit ihren Trinkwesten aussahen, als wollten sie nicht zum Kloster Andechs, sondern zum Trailrun auf die Zugspitze. Ich habe überlegt, was ich heute anziehen soll – und mal wieder gemerkt, dass ich weder eigene Wanderschuhe noch einen Rucksack besitze, eben weil ich nie wandern bin. Doch diese ein bis zwei Mal im Jahr, an denen es doch etwas herausfordernder wird als bei einem langem Isar-Spaziergang, bin ich trotz riesigem Kleiderschrank aufgeschmissen. Vielleicht würde ich ja öfter wandern gehen, wenn ich mal so eine richtige Ausrüstung hätte?

Aber ich habe gelesen, dass viele den Weg zum Kloster Andechs auch mit Kinderwagen laufen, das hat mich beruhigt. Deshalb wollte ich auch auf keinen Fall overequipped sein. Denn im Umland lachen sie schon über die Münchnerinnen und Münchner, die am Ufer des Starnberger Sees mit Zip-Hosen und Wanderstöcken spazieren gehen. Genauso peinlich ist es jetzt mit hellgelben Adidas-Sneakern, die zuvor nur Großstadt-Asphalt gesehen haben, mitten im schlammigen Wald zu stehen. „Ich hätte nicht gedacht, dass es noch so matschig ist“, sage ich zu Frank, er lacht nur und erwidert: „Wer hätte das auch ahnen können, nach drei Wochen Dauerregen?“ Oh Mann, so ein richtiges Outdoor-Mädel wird wohl nicht mehr aus mir.

Ich kenne sämtliche Seen im Umland – frag mich nach tollen Badestellen, nach schönen Cafés oder besonders guten Restaurants, aber sobald es um Kirchen, Klöster oder Kultur geht, ist meine innere Landkarte leer.

Das ist sicherlich auch ein Grund, warum ich noch nie beim Kloster Andechs war. Ich kenne sämtliche Seen im Umland – frag mich nach tollen Badestellen, nach schönen Cafés oder besonders guten Restaurants, aber sobald es um Kirchen, Klöster oder Kultur geht, ist meine innere Landkarte leer. Eigentlich schade, denn ich lebe schon immer in München und hab somit einige Dinge noch nie gemacht. So wie eben auch im Innenhof vom Schloss Seefeld stehen, das mit seinen Ladengeschäften, den Büros und der bayerischen Wirtschaft wie ein kleiner Marktplatz wirkt. Von hier aus laufen wir hinunter, vorbei am Schlosspark, plätscherndem Gewässer und verwunschenen Häuschen. Machen viele Fotos vom Widdersberger Weiher (den ich als See-Expertin nicht unbedingt zum Baden empfehlen würde, da das Wasser sehr trüb ist).

Irgendwann öffnet sich der Wald zu einer Lichtung mit Weide. „Hier grasen normalerweise die Schafe“, erklärt mir Frank, der in dieser Gegend aufgewachsen ist. Deshalb brauchen wir heute auch keine Karte, kein Google Maps, er kennt den Weg. Von der Weide aus erhaschen wir einen kurzen Ausblick auf den Pilsensee. „So weit sind wir schon oben!“, freue ich mich. Es kann also nicht mehr lang sein. Aber es geht immer weiter durch den kühlen Wald, an diesem heißen Sommertag zumindest eine Wohltat. Unser Weg führt vorbei an Maisfeldern und Schmetterlingen, die sich in der Sonne ausruhen. In der Luft liegt der Geruch der ersten Schwammerl, die zu dieser Zeit aus dem Boden sprießen, sie riechen nach feuchtem Waldboden.

Als uns zwei französische Tourist*innen entgegenkommen, frage ich sie kurzerhand: „Do you know the way to Kloster Andechs?“ Sie zeigen es mir und Frank ist kurz beleidigt, weil ich nicht auf seine Wegkenntnisse vertraue.

Zuvor habe ich online gecheckt, wie weit der Weg von Seefeld zum Kloster Andechs ist, meine Recherche ergab: zwei bis zweieinhalb Stunden. Doch jetzt sind wir schon drei Stunden unterwegs und vom Kloster ist weit und breit noch nichts zu sehen. Stattdessen finden wir uns in einer Waldschlucht wieder, in der ich mit meinen Stadt-Sneakern ziemlich ins Rutschen gerate. Ich bin genervt: Warum habe ich keine anderen Schuhe an? Und wann endet dieser Weg endlich? Trotz der Kühle im Wald klebt mein Shirt am Körper, ich muss auf die Toilette und habe Durst. Als uns zwei französische Tourist*innen entgegenkommen, frage ich sie kurzerhand: „Do you know the way to Kloster Andechs?“. Sie zeigen es mir und Frank ist kurz beleidigt, weil ich nicht auf seine Wegkenntnisse vertraue.

Und dann, als ich schon denke, da kommt kein Kloster mehr, taucht es endlich entfernt am Horizont auf einem Hügel auf. Ich freue mich, aber Frank bremst mich gleich aus: „Das ist locker noch mal eine halbe Stunde zu Fuß!" Aber das macht mir jetzt nichts mehr, denn ich habe ein Ziel vor Augen und lege somit einen Zahn zu. Uns kommt eine Gruppe entgegen, die uns mit einem amerikanischen „Servus“ begrüßt, ich grüße beschwingt zurück. Meine Vorfreude steigt – jetzt ein kaltes Bier, was Gutes zu essen, endlich eine Toilette und sitzen! Selbst die letzten Stufen raus zum Kloster machen mir nichts mehr aus, ich kann es kaum erwarten.

Meine Vorfreude steigt – jetzt ein kaltes Bier, was Gutes zu essen, endlich eine Toilette und sitzen! Selbst die letzten Stufen raus zum Kloster machen mir nichts mehr aus, ich kann es kaum erwarten.

Es gibt auf dem Gelände zwei Wirtshäuser und drei Biergärten. Wir entscheiden uns für den Klostergasthof, der weiter unten liegt und zwar etwas teurer ist, aber dafür auch gediegener. Bekommen direkt einen Tisch in erster Reihe mit Ausblick und die riesige Speisekarte in die Hand gedrückt. Das Kloster Andechs braut sein eigenes Bier, das nur vor Ort abgefüllt wird. Diese Klosterbrauerei ist die größte in Deutschland und der Brauereibetrieb damit auch der größte Wirtschaftszweig, der das Kloster finanziell unterstützt. Insgesamt zehn Biersorten gibt es hier – auch ein Spezial-Helles, das wie Wiesn-Bier schmeckt, erklärt uns der Kellner. Außerdem ein „Bergbock“, ein Doppelbock und drei verschiedene Weißbiere.

Wir entscheiden uns trotz der großen Auswahl für das klassische Helle und als es kurze Zeit später vor uns auf dem Tisch steht, gold-glitzernd und sprudelnd-süffig, verstehe ich, dass so ein Bier noch mal besser schmeckt, wenn man dafür stundenlang gewandert ist. Dazu gibt es ein fantastisches Wiener Schnitzel mit Kartoffel-Feldsalat und Preiselbeeren für mich und für Frank eine Blutwurst auf Kartoffelstampf im Thymianjus. Wir sitzen nach dem Essen noch eine Weile dort, genießen den Ausblick, die Ruhe und das kühle Bier. Zwei Tische neben uns spielt eine Gruppe Karten, unter uns läuten die Glocken der glücklichen Kühe, die auf einer Weide grasen.

Wir entscheiden uns für das klassische Helle und als es kurze Zeit später vor uns auf dem Tisch steht, gold-glitzernd und sprudelnd-süffig verstehe ich, dass so ein Bier noch mal besser schmeckt, wenn man dafür stundenlang gewandert ist.

Ausgeruht beschließen wir, uns noch die Kirche anzusehen. Der „Heilige Berg“, wie Andechs auch genannt wird, ist nach Altötting tatsächlich der zweitgrößte Wallfahrtsort Bayerns. Schon seit dem 12. Jahrhundert kommen Pilgerinnen und Pilger aus aller Welt hierher. Auf der Website des Klosters lese ich, dass jedes Jahr über 30.000 Gläubige aus rund 120 Gemeinden nach Andechs wandern. Und der Jakobsweg von München nach Lindau führt zudem noch viele Einzelpilger an diesen Ort. Das Innere der Kirche ist üppig-golden, sie ist nicht groß, ein echtes Rokoko-Juwel. Wir sitzen andächtig auf einer Kirchenbank und schauen uns um – oder ist es vielleicht nur die Müdigkeit vom Bier, die uns gerade verweilen lässt?

Aber dann brechen wir auf! Genug gesessen – es ist schon 17 Uhr und wir müssen schließlich noch zurück. Diesmal hat Fotograf Frank eine andere Route parat, unser Ziel: Herrsching am Ammersee. Der Rückweg fällt bekanntlich immer leichter, auch wenn ich wieder überrascht bin über die Distanz. Noch einmal laufen wir eineinhalb Stunden über sattgrüne Wiesen und durch sommerliche Wälder. Auf einer Aussichtsbank hat jemand eine goldene Plakette angebracht, auf der steht „Nach Andechs ist vor Andechs“, ich setze mich und muss grinsen.

Wir sitzen noch eine Weile am Ufer, holen uns ein Radler am Kiosk und beobachten den Sonnenuntergang. Und fast fühlt es sich wie Urlaub an.

Das Abendlicht blitzt durch die Blätter des dichten Waldes, immer wieder erhaschen wir einen Blick auf den Ammersee unter uns, es riecht nach Moos. Frank hat seine Schuhe ausgezogen, er läuft barfuß. Wir sprechen über unsere Jugend, übers Draußensein, ich frage ihn, ob er schon einmal im Wald geschlafen hat. Natürlich hat er. Plötzlich öffnet sich der Weg, wir landen auf einer geteerten Straße, links und rechts von uns bauen sich riesige Villen auf. Manche von ihnen haben nicht mehr nur einen Garten, sondern einen eigenen Park.

Als wir schließlich unten am Wasser ankommen, werden wir mit dem schönsten Abendlicht belohnt. Gerade geht die Sonne unter, spiegelt sich im tiefblauen Ammersee. Nun ziehe auch ich meine Schuhe aus, kühle meine Füße ab, die heute an die 30.000 Schritte gemacht haben. Das kalte Wasser tut gut. Wir sitzen noch eine Weile am Ufer, holen uns ein Radler am Kiosk und beobachten den Sonnenuntergang. Der Ausflugsdampfer fährt vorbei, die Luft ist klar, die Berge gut zu sehen. Und fast fühlt es sich wie Urlaub an.

 

 

Text: Anja Schauberger; Fotos: Frank Stolle
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