Barbara Mehling-Bratz und Axel Birkmann gingen noch zur Schule, als die Olympiade 1972 in München stattfand. Trotzdem wollten sie unbedingt dabei sein – und wie sich herausstellte, war das genau die richtige Entscheidung. Denn mehr als 40 Jahre später werden die beiden zum Paar, verbunden nicht zuletzt durch ihre gemeinsame Olympiaerfahrung. Im Sommer 2022 werden sie wieder als Freiwillige auf dem Olympiagelände unterwegs sein, diesmal bei den European Championships.
Barbara Mehling-Bratz: „Ich war damals in der Oberstufe, ein Jahr vor dem Abitur und bei einer Freundin zu Besuch. Ihr Vater war der Generalsekretär der Olympischen Spiele in München, und er fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, Olympia-Hostess zu werden. Ich komme aus einer Sportlerfamilie und fand die Olympiade einfach aufregend – da habe ich natürlich ja gesagt! Außerdem war die Stelle gar nicht schlecht bezahlt. Ich weiß nicht mehr genau, wie viel ich verdient habe, aber ich konnte mir von dem Gehalt eine Mittelmeerreise leisten.“
Axel Birkmann: „Ich habe deutlich weniger verdient! Zwei US-Dollar pro Tag – aber damit bin ich gut zurechtgekommen. Ich war 17, ging in Reutlingen zur Schule und wollte unbedingt nach München. Die Verpflegung, Unterkunft und Arbeitskleidung wurde uns gestellt, wir waren in einer Schule in Milbertshofen untergebracht, dort hatte man Betten und Spinde von der Bundeswehr aufgebaut, das Zimmer teilte man sich mit mehreren Olympiahelfern. Unser Outfit bestand aus einer weißen Mustang-Jeans und weißer Jacke, gelben Polyestersocken, gelbem T-Shirt und weißen Adidas-Basketballschuhen.“
„Ich hatte das Gefühl, dass München 1972 aus einem Schlaf erwachte und zur Großstadt wurde.“
Barbara Mehling-Bratz: „Ich war dafür zuständig, ein sogenanntes Datensichtgerät, also einen Vorläufer des Computers, zu bedienen. Auf dem Gerät waren lauter Informationen über die Olympischen Spiele und über München gespeichert. Man konnte also zu uns kommen und sich zum Beispiel nach vergangenen Goldmedaillengewinnern erkundigen. Einmal kam Hans-Jochen Vogel, der ehemalige Oberbürgermeister von München, und wollte etwas wissen – genau in dem Moment ist das Gerät ausgestiegen! Seine Frage konnten wir ihm nicht beantworten. Es war total peinlich.“
Axel Birkmann: „Meine Aufgabe war es, die Journalisten und Kommentatoren mit gedruckten Informationen zu versorgen. Ich war für vier Sitzreihen verantwortlich, die waren allerdings die meiste Zeit leer, weil die Leute lieber in den oberen Reihen saßen, wo die Sicht besser war. Deshalb hatte ich nicht viel zu tun und ich konnte mir fast alles ansehen. Nie vergessen werde ich den Moment, als Ulrike Meyfarth über 1,92 Meter gesprungen ist und die Goldmedaille geholt hat. 70.000 Zuschauer im Stadion, plötzlich ist alles ruhig, dann die pure Euphorie und Zehntausende, die gleichzeitig aufspringen, klatschen, jubeln! Etwas Vergleichbares habe ich nie wieder erlebt, auch nicht bei einem Rockkonzert oder einem Fußballspiel.“
„Nie vergessen werde ich den Moment, als Ulrike Meyfarth über 1,92 Meter gesprungen ist und die Goldmedaille geholt hat.“
Barbara Mehling-Bratz: „Es war wirklich toll, dass wir mit unseren Ausweisen überall rein konnten. Am liebsten war ich in der Tauschbörse im Olympischen Dorf. Als Hostess war eine meiner Aufgaben, die Anstecker für die Olympiade 72 zu verteilen: eine Olympiaspirale auf blauem Grund. Aber jede Nation hatte ihre eigenen Anstecker und es war toll, die Anstecker mit Sportlern aus der ganzen Welt zu tauschen. Irgendwo habe ich noch ein Foto von mir, da trage ich alle gesammelten Anstecker an meinem Dirndl.“
Axel Birkmann: „Für mich war die Olympiade 72 auch deshalb prägend, weil ich danach unbedingt nach München ziehen wollte. Ich hatte das Gefühl, dass München 1972 aus einem Schlaf erwachte und zur Großstadt wurde. Deshalb wollte ich hier studieren und leben. Mit dem Studium hat es leider nicht geklappt, aber im Anschluss bin ich hierhergezogen.“
Barbara Mehling-Bratz: „Und wenn du nicht nach München gezogen wärst, hätten wir uns wahrscheinlich nie kennengelernt. Insofern kann ich es der jungen Generation nur empfehlen, bei solchen Veranstaltungen mitzuhelfen.“
Axel Birkmann: „Deshalb haben wir uns auch direkt gemeldet, als wir davon gelesen haben, dass für die European Championships dieses Jahr noch Freiwillige gesucht werden. 50 Jahre später werden wir wieder Gäste im Olympiastadion willkommen heißen, eine wunderbare Erinnerung an diesen fröhlichen, ausgelassenen Sommer von 1972!“