Ein gemeinsamer Städtetrip besteht auch immer aus Kompromissen – so möchte die Mutter in dieses Theaterstück, die Tante in jene Ausstellung und der Freund unbedingt zu einer Sportveranstaltung. Unsere beiden Autorinnen verabreden sich deshalb gegenseitig zu jeweils zwei Aktivitäten, die sie von sich aus niemals machen würden. Ob dieser Selbstversuch gut ausgeht?
Was haben ein Museumsbesuch, ein Abend im Varieté, eine Stadtführung mit VR-Brille und ein Basketballspiel des FC Bayern gemein? Es sind vier Aktivitäten, auf die unsere Autorinnen so gar keine Lust haben und einige Vorurteile bereithalten. Deshalb verabreden sie sich zu einem Wochenende, an dem sie zu jedem vorgeschlagenen Event Ja sagen müssen. Ein Selbstversuch, der so einige Überraschungen bereithielt.
Ich gehe gerne in Konzerte und ins Theater, solange ich anonym bleiben darf, also keine Interaktion stattfindet. Eine meiner größten Ängste ist es, von der Bühne angesprochen zu werden oder im schlimmsten Fall noch hinaufgebeten zu werden. Das hatte ich schon als Kind, wenn ich im Zirkus in der ersten Reihe saß und der Clown ein Kind im Publikum ausgesucht hat, um es für einen Trick mit in die Manege zu nehmen. Anika weiß ganz genau von dieser Angst und schleppt mich deshalb mit ins GOP – wahrscheinlich auch ein bisschen in der Hoffnung, dass wir in der ersten Reihe landen.
Ein Pluspunkt für mich: Im GOP geht es schon mal nicht nur um's Theater, sondern auch um's Essen. Man kann vor der Show im benachbarten Restaurant Leander oder währenddessen mit Blick auf die Bühne essen. Wir entscheiden uns für die erste Variante und bekommen ein feines Drei-Gänge-Menü serviert. Bisher finde ich alles sehr gut, mit Freunden essen gehen ist eines meiner größten Hobbys und mit vollem Magen vergesse ich fast, was da jetzt auf mich zukommt.
Wir kommen in den Veranstaltungsraum, es ist Dienstagabend und die Vorstellung ist so gut wie ausverkauft. Das könnte schon mal für das Theater, das sich seit über 100 Jahren an der Maximilianstraße bewährt, und das internationale Ensemble sprechen. Vielleicht sind die Stammgäste hier aber auch einfach verrückt und haben nichts dagegen, wenn sie von der Bühne aus direkt angesprochen oder angesungen werden? Zum Glück sitzen wir nicht in der ersten Reihe, sondern ziemlich mittig – Hauptsache weit weg von der Bühne.
Schon gleich die erste Szene bringt alle unguten Erinnerungen an meine Angst zurück, denn de Hauptdarstellerin singt „Get the party started" von Pink, während der Rest der Crew synchron dazu tanzt. „Wird das jetzt hier etwas ein Musical?“, denke ich nur und hoffe, dass es nicht so ist, denn ich hasse Musicals. Ein Darsteller läuft gegen eine Wand – das soll ein Witz sein. Ich bekomme tatsächlich ein bisschen Angst, dass der ganze Abend jetzt so wird. Die Sängerin kommentiert die Getränke der Gäste in der ersten Reihe, spricht sie mit Namen an. Ich könnte im Erdboden versinken.
Aber dann scheint sich das Blatt plötzlich zu wenden: Wir sehen einen Kartentrick-Weltmeister aus Venezuela, eine Trapezkünstlerin aus Berlin und einen Handstand-Experten aus Tadschikistan. Es wird gesungen, getanzt, balanciert, geturnt, gezaubert und sich um die eigene Achse gedreht. Manche Charaktere sind dermaßen ausgeklügelt, dass ich herzhaft über sie lachen muss. Die wechselnden Shows im GOP sind nicht eingekauft, sondern allesamt selbst inszeniert. Es ist tatsächlich wie im Zirkus, denn die Crew geht an ihre Grenze und noch ein bisschen darüber hinaus. Man fragt sich immer wieder: „Wie machen die das?“ – nur eben, dass niemand einen auf die Bühne holt. Zum Glück.
GOP Varieté-Theater München | Maximilianstraße 47
„Boa, ne. Muss das wirklich sein?“, frage ich Anja, als sie mir eröffnet, welches Museum sie für mich ausgesucht hat.
„Wir machen jetzt erstmal ein Foto!“, ist ihre Antwort, als wir vor dem großen Eber aus Bronze stehen. Während Fotograf Frank uns neben die Schnauze der Tierstatue positioniert, bereue ich es, bei diesem Selbstversuch mitzumachen. Als Vegetarierin mit einer Hündin aus dem Tierschutz geht mein Interesse, das Jagd- und Fischereimuseum zu besuchen, gegen Null. Perfekte Ausgangslage also. Wir gehen rein. Ich mürrisch, Anja amüsiert.
Drinnen begrüßt uns ein ausgestopfter Bär, der über der Kasse hängt und angriffslustig die Zähne zeigt. „Geschmacklos“, flüstere ich und da stimmt sie mir zu: Von ausgestopften Tieren halten wir beide wenig. Beim Anblick der Räume kommen wir dann aber ins Staunen: Es handelt sich um eine ehemaligen Augustinerkirche. Wir bewundern den imposanten Sakralbau mit seinen hohen, weißen Wänden, bis uns ganz oben das Skelett eines Riesenhirsches erwartet, der vor rund 10.000 Jahren ausgestorben ist. Es handelt sich um den größten Hirschen, der jemals gelebt hat. So was habe ich hier nicht erwartet, jetzt kriege ich richtige Naturkunde-Vibes!
In der Dauerausstellung zum Thema Jagd versinken wir dann in den befremdlichen Ausstellungsstücken, die sehr viel über die jeweilige Zeit erzählen: Halsbänder für Jagdhunde, die mit Spikes bestückt sind. Extrem lange Gewehre, deren Schaft und Griff kunstvoll mit Tierabbildungen verziert wurden. An den Wänden hängen Darstellungen gewaltvoller Jagdszenen: Das Blut spritzt, die Hunde bellen, der Wald immer mystisch und dunkel.
Während wir durch die verschiedenen Räume gehen, sprechen wir über die Argumente für und gegen die Jagd und Fischerei. Anja erzählt von einem befreundeten Paar, das den Jagdschein gemacht hat, um den persönlichen Fleischkonsum auf das eigene Erlegen zu beschränken. Das scheint mir ein nachhaltiger Ansatz, allerdings mehr für die beiden als für das Tier. Das große Argument, Jagen würden den Wildbestand regeln, trifft immer wieder auf Gegenargumente: Luchs und Wolf haben das früher geregelt, die wurden jedoch vom Menschen verdrängt, und Wölfen droht heute der schnelle Abschuss. Durch das Schrot in den Gewehren können außerdem andere Tiere zusätzlich verletzt und aufgescheucht werden.
Wir tauschen uns den ganzen Besuch über aus, was ich spannend finde, weil wir feststellen, dass nichts einseitig erzählt werden sollte. Und auch wenn ich kein Fan von Jagd oder Fischerei bin, finde ich das vermittelte Wissen in der Sonderausstellung zur Meeresverschmutzung durch Fischernetze wichtig. Ich kann mir gut vorstellen, beim nächsten Familienbesuch hier mal mit meinem Vater herzukommen – hitzig diskutieren, das können wir nämlich.
Deutsches Jagd- und Fischereimuseum | Neuhauser Straße 2
Im TimeRide in München kann man virtuelle Stadttouren durch die Vergangenheit machen. Ich bin ganz ehrlich: Nichts in dieser Welt würde mich dazu bringen, das auszuprobieren – abgesehen von diesem Artikel. Denn zum einen bin ich Münchnerin und brauche keine Stadtführung (meine ich!), zum anderen interessiere ich mich null für Technik. „Ich habe die Vermutung, dass du mich nur dazu überreden willst, weil du genau weißt, wie peinlich es mir ist, mit so einer Brille auf dem Marienplatz zu stehen“, sage ich zu Anika. Sie lacht nur, die Antwort kann ich mir also denken.
Virtual Reality ist für mich etwas, das nur Nerds gut finden. Und ich scheine Recht zu haben, denn als ich am vereinbarten Treffpunkt ankomme, stehen verkleidete TimeRide-Angestellte in Mittelalterkostümen vor dem Laden. „Wenn wir die Führung mit denen machen, dann gehe ich wieder“, verspreche ich mir selbst. Das geht zu weit, niemand erwartet, dass ich mich für diesen Artikel blamieren muss.
Am liebsten möchte ich sofort umdrehen, doch dann sehe ich Anika – und wir lernen unseren lieben Tourguide kennen. Er trägt zum Glück kein Kostüm und wohnt schon seit über 50 Jahren in München. Normalerweise macht er ganz gewöhnliche Stadtführungen, seit ein paar Monaten nun auch mit der VR-Brille. Weil er selbst kein großes Aufheben um die Virtual-Reality-Brillen macht und damit umgeht, als wäre es etwas ganz Alltägliches, fällt mir das Reinkommen auch leicht.
Noch bevor es richtig losgeht, sollen wir die Brillen aufsetzen, um uns einen Überblick über die Tour zu verschaffen – sie führt vom Alten Rathaus über die Frauenkirche und die Residenz zurück über das Hofbräuhaus. In der Fußgängerzone ist heute viel los und mir ist es beim ersten Mal doch ein bisschen unangenehm mit so einer Brille mittendrin zu stehen, vor allem weil die Brillen auch Sound haben. Aber schon am Marienplatz wird meine Scham kleiner. Und das obwohl die Menschen natürlich auf unsere kleine Gruppe reagieren, die aussieht wie aus „Zurück in die Zukunft“. Aber mir scheint, dass sie es cool finden.
Und auch ich muss gestehen, dass der 360-Grad-Blick über den Marienplatz aus dem 16. Jahrhundert oder auf das zerbombte Tal nach dem Zweiten Weltkrieg mich nicht kalt lassen. Am meisten beeindruckt mich ein virtueller Einblick in den früheren Wintergarten von Ludwig II., der sich auf dem Dach der Residenz befand. Man kann wahnsinnig viel entdecken in den Animationen: Ich schaue vorbeifahrenden Autos nach, beobachte Vögel am Himmel und lausche Gesprächen von Menschen neben mir. Es ist richtig abgefahren und ich verstehe nun den Reiz von Virtual Reality, Anika geht es genauso. Als wir zur U-Bahn laufen, sage ich zu ihr: „Vielleicht ist es etwas für Nerds, aber dann bin ich gerne einer!“
TimeRide | Tal 21
Was am meisten Spaß an diesem Selbstversuch macht: Der Moment, wenn ich genau die Aktivität für Anja gefunden habe, die für sie die größte Überwindung bedeutet. Was am wenigsten Spaß an diesem Selbstversuch macht: Wenn sie genau das auch für mich findet. In diesem letzten Fall ist es der Besuch einer großen Sportveranstaltung. HILFE.
Als Jugendliche habe ich gerne Basketball gespielt, aber bleib mir bloß weg mit Sportevents! Zu viele betrunkene Menschen, zu lautes Grölen, zu langes Anstehen vor Toiletten und Garderoben – und nach dem Spiel ein ewiger Stau oder total überfüllte U-Bahnen. Das sind meine Vorurteile, wenn ich an Abende in vollgepackten Arenas denke, weshalb Anja mich zu einem Basketballspiel des FC Bayern schleppt.
Als wir ankommen, wummert feinster Hip Hop durch die Halle und wir fühlen uns sofort reingezogen in die entspannte Atmosphäre. Wer gerne Hip Hop hört, sollte vielleicht mal im Audi Dome statt im Club vorbeischauen, scherzen Anja und ich. Apropos Musik: Die geht hier anscheinend mit dem Basketball Hand in Hand, denn es werden immer wieder Konzerte mit den Spielen verbunden, was den Besuch total abwechslungsreich macht. So weit, so vielfältig, ich beginne, mich zu entspannen. Aber wie schaut es mit dem Spiel selbst aus?
Wir sitzen in der ersten Reihe, oha! Anja bekommt Angst, im Laufe des Spiels den Ball abzukriegen, was ich verstehen kann – die Nähe zum Geschehen ist unschlagbar. Ein Blick über die vielen Ränge hinweg verrät allerdings, dass man von allen Plätzen in der Arena ziemlich gut sehen kann. Jetzt muss ich zugeben, dass ich von Anfang an total mitfiebere und auch die TimeOuts liebe, in denen Cheerleader zur Unterhaltung auf dem Court tanzen. Obwohl das Basketballspiel knapp zwei Stunden dauert, ist es aufgrund seiner Schnelligkeit und der Atmosphäre extrem kurzweilig, spannend und unterhaltend. Vor allem, weil die ausgelassene Stimmung zwar mitreißt, ich aber nie unangenehm empfand – keines meiner Vorurteile hat sich bei unserem Besuch bestätigt.
Mitarbeiter Simon führt uns zusätzlich durch den Audi Dome und erklärt, wie viel Engagement rund um die Spiele steckt: Der VIP-Bereich wird als Hospitality-Einrichtung genutzt, wo an Live-Cooking-Stationen leckeres Essen von Käfer serviert wird. Außerdem sitzen dort nicht selten die Basketballstars in ihrer Lounge zusammen, sodass es Gästen möglich ist, sie hautnah zu erleben. Vielleicht ein besonderes Geschenk für einen Basketballfan oder die ganze Familie, die Unterhaltung, Abendessen und Sport verbinden möchte?
Am Ende denke ich, dass ich dringend wieder selbst ein paar Körbe werfen möchte – und dass mein Besuch im Audi Dome mit Sicherheit nicht der letzte gewesen sein wird. „Wir stehen nicht mal im Stau!“, sage ich zu Anja. Die lehnt sich nur zurück und grinst.
FC Bayern Basketball im Audi Dome | Grasweg 74
So vielfältig die Aktivitäten waren, so skeptisch standen wir ihnen gegenüber. Umso schöner, dass wir nicht gekniffen haben, denn unsere Kompromissbereitschaft hat gezeigt: Überall gibt es etwas Spannendes oder Wissenswertes zu entdecken – und dabei kann man München aus unterschiedlichen Perspektiven erleben. Sogar wir als Münchnerinnen konnten die Stadt noch einmal ganz neu kennenlernen – mit Aktivitäten, die wir zum einen noch nie gemacht haben und die man auch nicht sofort mit München verbindet. Wir waren beide überrascht, was alles so geht, wenn man mal über seinen eigenen Tellerrand guckt.