Wer einkaufen geht, denkt meist kaum darüber nach, wie die Lebensmittelversorgung einer Stadt eigentlich funktioniert. Unsere Autorin bekommt bei einer Führung durch die Großmarkthalle einen spannenden Einblick hinter die Kulissen.
Um halb 9 Uhr morgens trinke ich für gewöhnlich meinen ersten Kaffee. Heute stehe ich um diese Zeit schon am Eingang der Großmarkthalle und suche noch etwas verschlafen nach meiner Gruppe. Zwei Mal pro Monat finden Führungen durch „Münchens Bauch“ statt – allerdings nur an bestimmten Tagen und so spät, dass der größte Andrang schon vorüber ist. Restaurantbesitzer und Einzelhändler treffen sich teilweise schon um drei Uhr morgens in der Großmarkthalle, um nach den frischesten Lebensmitteln Ausschau zu halten. Man bekommt eigentlich alles: exotisches Obst, heimisches Gemüse sowie mediterrane Köstlichkeiten.
Wer im Schlachthofviertel ausgeht, schleicht drumherum. Wer auf der Alten Utting einen Kaffee trinkt, sitzt direkt darüber. Wer in Sendling wohnt, bekommt das rege Treiben in den frühen Morgenstunden mit. Aber hinein dürfen nur die Wenigsten. Es gibt also nicht viele Einheimische, die wissen, wie der Großmarkt von innen aussieht und was hier genau passiert.
Wer im Schlachthofviertel ausgeht, schleicht drumherum. Wer auf der Alten Utting einen Kaffee trinkt, sitzt direkt darüber. Wer in Sendling wohnt, bekommt das rege Treiben in den frühen Morgenstunden mit. Aber hinein dürfen nur die Wenigsten.
Umso gespannter bin ich, als unsere Gruppe – ganz vorne Gästeführerin Ingrid Oxfort – nun gemeinsam losstapft. Wir tragen orange-leuchtende Sicherheitswesten und bekommen zuallererst eine kleine Einweisung: „Augen offen halten, denn manche Gabelstapler meinen, sie fahren hier Porsche!“ Aber die Großmarkthalle ist ein in sich geschlossenes System, das sich von seinen Besuchern nicht aus der Ruhe bringen lässt. Eine kleine Stadt in der Stadt, die sogar ein eigenes Jobcenter, Verkehrsregeln und Arbeitszeiten hat.
Denn während die Gastarbeiter in den Siebzigerjahren noch täglich vor der Halle Schlange stehen mussten, um an jenem Tag einen Job zu ergattern, hilft mittlerweile eine kleine Stelle vom Arbeitsamt vor Ort aus, erfahren wir von Ingrid Oxfort. Die Einfahrtsstraßen der LKWs, die die Ware bringen, sind durch einen Linksverkehr geregelt, weil es an dieser Stelle einfach praktischer ist und sich so nichts staut. Und um halb 9 Uhr morgens, während die meisten Münchner gerade ins Büro fahren, bauen viele Händler schon wieder ab. Die Arbeit geht danach allerdings erst richtig los.
„Die Gärtner stehen um zwei Uhr morgens auf, damit sie spätestens um drei Uhr hier sind, danach geht es zurück auf's Feld“, erklärt uns die Gästeführerin. „Bei den Obst- und Gemüsehändlern sind es dieselben Uhrzeiten, nur die Halle vom Blumengroßhandel sperrt später auf – und hat dafür aber auch bis abends offen.“ Der Grund für das frühe Aufstehen: Die Lebensmittel müssen natürlich vor Ort sein, bevor die Münchner Obststandln und Gemüseläden aufsperren. Zudem wird die Ware oft noch weitertransportiert – die Wege führen bis nach Tschechien oder Tirol.
Die Großmarkthalle in München ist tatsächlich die drittgrößte in ganz Europa. Das hätte ich niemals gedacht! Auch die Zahlen, die ich hier auf einer Infotafel lese, kann ich kaum glauben: Nach der Eröffnung 1912 kamen hier pro Jahr rund 55.000 Tonnen Lebensmittel an. Bis 2005 hatte sich diese Zahl schon mehr als verzehnfacht – auf 594.000 Tonnen! Besonders spannend ist, wie politische Ereignisse und gesellschaftliche Trends an der Tafel ablesbar sind: Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg der Umsatz, als Discounter in Mode kamen, sank er. Heute verzeichnet der Großmarkt wieder steigende Zahlen, weil immer mehr Kunden Wert auf Frische, Regionalität und Qualität legen. Man möchte wissen, wo sein Salat herkommt.
Ebenso überrascht bin ich von den historischen Schwarz-Weiß-Bildern, die in einem Bürogebäude auf dem Gelände ausgestellt sind. Darauf zu sehen: fast ausschließlich Frauen, die in schicken Kostümen und Kleidern Lebensmittel unter die Lupe nehmen. Heute sieht man in der Großmarkthalle vor allem Männer in praktischen, warmen Latzhosen. Wir erfahren, dass der Großmarkt früher noch eine richtige Frauendomäne war. Vielen von ihnen arbeiteten als sogenannte „Klauberweiber“ und waren zuständig für das Aussortieren der Ware.
Auch heute noch schaut man, dass am Großmarkt so wenig wie möglich weggeschmissen wird: Lebensmittel, die noch gut sind, für die es sich aber nicht mehr lohnt, sie einzulagern, gehen direkt an den gemeinnützigen Verein Münchner Tafel e.V., der Essen an rund 20.000 Bedürftige verteilt und direkt auf dem Gelände zu finden ist. Wenn ein Blattsalat dagegen nicht mehr ganz so frisch aussieht, dann freuen sich die Tiere im Münchner Zoo darüber.
Ingrid Oxfort hat schon selbst hier gearbeitet, deshalb kennt sie nicht nur die Hallen besonders gut, sondern auch die Menschen. Auf unserer Tour trifft sie immer wieder alte Bekannte, die sie auf einen Kaffee einladen möchten. Sie ist unsere Verbindung zur Großmarkthalle, wir kommen mit den Händlern schneller ins Gespräch.
Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg der Umsatz, als Discounter in Mode kamen, sank er. Heute verzeichnet der Großmarkt wieder steigende Zahlen, weil immer mehr Kunden Wert auf Frische, Regionalität und Qualität legen.
Noch nie habe ich so viel Obst und Gemüse auf einem Haufen gesehen. Und zudem so viele Sorten, die ich gar nicht kenne. Selbst als Besucherin kann man sich kaum vorstellen, welche Massen hier täglich verkauft und eingelagert werden müssen. Als wir durch die einzige Obsthalle spazieren, die den Zweiten Weltkrieg überlebt hat und unter Denkmalschutz steht, erzählt uns Ingrid Oxford, dass das Original Spitzdach, das an eine Kirche erinnert, besonders gut für die Luftzirkulation ist. Somit bleibt die Ware länger frisch – auch im Sommer, wenn es draußen heiß wird.
Ansonsten ist es kalt in den Hallen, was zumindest die Lebensmittel freut. Die Mitarbeiter wärmen sich in ihren kleinen verglasten Bürokästen oder in einer der internen Imbissbuden. Als sich unsere Gruppe langsam auflöst und unsere Gästeführerin die Warnwesten einsammelt, spaziert der Großteil schnurstracks Richtung Gaststätte Großmarkthalle. Die ist übrigens weit über die Grenzen des Großmarkts für ihre frischen Weißwürste bekannt, die täglich ab sieben Uhr morgens serviert werden – und als einziger Ort auf dem Gelände auch offen ist für alle Münchner.