Trachtenjanker zählen als Sakkoersatz, Segelschuhe und bunte Chinos gelten als Einheitslook. Der Münchner Modestil ist anders als im Rest von Deutschland, findet Lena Sämann, die die Modeleitung bei Vogue.de innehat. Ein Gespräch über teure Handtaschen und das modische Selbstbewusstsein einer Stadt.
Frau Sämann, wenn man Sie in der Münchner Innenstadt aussetzen würde, ohne dass Sie wissen, wo Sie sind, würden Sie alleine am Modestil erkennen, in welcher Stadt Sie sich befinden?
Auf jeden Fall. Ich habe darüber schon häufig mit meinen Kollegen in der Redaktion gesprochen, und wir sind uns einig: Es gibt modische Gemeinsamkeiten bei den Münchnern.
Und wie sehen die aus?
Man sieht in der Stadt zum Beispiel überdurchschnittlich viele Frauen, die dunkelbraune Handtaschen von Louis Vuitton oder Chloé tragen. Und natürlich sieht man auch häufig den klassischen Parka mit dickem Pelzkragenbesatz, nicht nur bei Frauen, sondern auch bei Männern. Insgesamt sind die Münchner modisch aber eher unauffällig – anders als zum Beispiel die Berliner.
„In München können Männer statt Sakko einen schicken Trachtenjanker anziehen, das ist ein absolut anerkanntes Businessoutfit in den allermeisten Branchen.“
Wie kleiden die sich?
Der Berliner Modestil lässt sich problemlos auch im Ausland erkennen. Er besteht aus vielen Vintagestücken, Kombinationen, sehr viel 90er-Jahre-Mode und ist grundsätzlich individueller und experimenteller. In München ist der Stil dagegen klassisch und gediegen. Man könnte es auch folgendermaßen runterbrechen: Der Berliner trägt Markenklamotten ironisch – der Münchner nicht.
Sind Münchnerinnen und Münchner mehr als andere auf Marken fokussiert?
Es scheint hier schon wichtig zu sein, wenigstens ein Markenaccessoire in seinem Outfit zu kombinieren. Armbanduhr, Sonnenbrille oder Handtasche – gern auch alles zusammen.
Woran liegt das?
München liegt schon recht nah an Italien, und da darf es grundsätzlich mehr Bling-Bling sein. Das Hemd trägt man gern etwas aufgeknöpfter, anders als etwa in Hamburg. Hier ist alles einfach etwas südländischer. Dazu kommt: München ist eine reiche Stadt. Das spiegelt sich natürlich auch in der Kleidung vieler Bewohner wider.
Was kann man in München tragen, was in anderen Städten nicht gehen würde?
Tracht. Das gilt für Männer und Frauen. In München können Männer statt Sakko einen schicken Trachtenjanker anziehen, das ist ein absolut anerkanntes Businessoutfit in den allermeisten Branchen. Sonntags sieht man im Stadtgebiet auch heute noch sehr viele Menschen in Tracht – für viele ist das Dirndl ein klassisches Sonntagskleid. Auch bei Hochzeiten trägt man Tracht, genau wie bei Festen im Umland wie etwa dem Tegernseer Waldfest.
„Man könnte es auch folgendermaßen runterbrechen: Der Berliner trägt Markenklamotten ironisch – der Münchner nicht.“
„Vogue“ sitzt seit ihrer Gründung vor 40 Jahren in München. Beeinflusst der spezielle Stil der Stadt das Magazin?
Der Modestil nicht unbedingt, aber natürlich die Modeaffinität der ganzen Stadt: Viel Modepresse sitzt hier, genauso wie viele Luxushäuser und PR-Agenturen. In München sind wir nah dran an den Kontakten, die für uns wichtig sind. Dazu kommt: Die großen Häuser haben hier ihre Stores, es kommen also auch oft die wichtigen Designer nach München, etwa für Eröffnungen. Wir haben als Redaktion in München einen sehr guten Zugang zu Luxusmode.
Welche Münchner Designer sollte man kennen?
Früher gab es die großen Häuser wie Escada und MCM, die waren in den 80er- und 90er-Jahren wirklich populär, auch über die Stadt- und sogar Landesgrenzen hinaus. Inzwischen ist München nicht mehr unbedingt die erste Adresse für junge Designer, was sicherlich auch mit den hohen Mietpreisen in der Stadt zu tun hat. Das schreckt viele junge Kreative eher ab. Aber es gibt in München eine ausgewählte Handvoll richtig guter Designer wie etwa die Jungs von A Kind Of Guise oder Saskia Diez mit ihrem dezenten Schmuckdesign. Und das Label GottseiDank macht schöne, zurückhaltende Tracht.
Geben Sie mir einen Tipp: Mit welchen Kleidungsstücken kann ich in München grundsätzlich nichts falsch machen?
Enge Jeans, Trenchcoat, Kaschmir-Sweater und ein teures Accessoire, wie etwa die Sonnenbrille oder eine Handtasche. Damit fügt man sich in München ziemlich gut ins Bild ein.
„München liegt schon recht nah an Italien, und da darf es grundsätzlich mehr Bling-Bling sein.“
Und im Gegenzug: Welchen Fauxpas sollte ich lieber vermeiden?
Auf keinen Fall sollte man allzu lässig herumlaufen, keine bauchfreien Tops oder Jogginghosen tragen. Selbst auf dem Weg zum Supermarkt sind Jogginghosen in Vierteln wie Schwabing oder Bogenhausen eher auffällig. Der sogenannte Ugly-Style, den in Berlin ja viele tragen, funktioniert hier nicht. Die Münchner verstehen es nicht, warum man sich bewusst hässlich kleiden sollte.
Könnte man sagen, die Stadt nimmt das Thema Mode ziemlich ernst?
Viel Spaß verstehen die Münchner jedenfalls nicht bei Mode. Eine meiner Kolleginnen in der Redaktion hat zum Beispiel blaue Haare. Sie sagt selbst, dass sie damit in München überall und grundsätzlich sehr auffällt. Vielleicht kleiden sich viele junge Münchner auch deshalb in einer Art Uniform: Segelschuhe, Polohemd, bunte Chinos. Dieser Look ist sicher für viele der Inbegriff des Münchner Modestils. Ich denke, er soll das Selbstwertgefühl der Träger unterstreichen.
Sind die Menschen erstaunt, dass die „Vogue“-Redaktion in München sitzt, obwohl die Stadt ja modisch nicht gerade experimentierfreudig ist?
Viele denken automatisch, unsere Redaktion sitzt in Berlin, weil es die Hauptstadt ist und dort viele junge Designer sind. Aber für uns spielt das nicht die größte Rolle, „Vogue“ orientiert sich eher an Haute Couture und den großen Häusern als an Neuentdeckungen. Dazu kommt, dass sich die Zeitschriftenlandschaft nach dem Krieg zwischen Hamburg und München angesiedelt hat, und irgendwie passt „Vogue“ letztlich dann doch sehr gut zu München: München ist sauber und ordentlich, die Bewohner passen sich dem Stadtbild an. Ich würde sagen, in München gibt es weniger Modeunfälle als anderswo.