Wir haben vier Mitglieder des größten Orchesters in München nach ihren Instrumenten gefragt. Hier erfahren Sie mehr über den Münchner Philharmoniker Konstantin Sellheim, seinen Weg zur Bratsche und warum Bratscher-Witze grundsätzlich wahr sind.
„Mein Weg zur Bratsche ist eher konventionell, ich komme von der Geige, habe die Bratsche aber schon früh als eigenständiges Instrument begriffen – mit ganz eigenen Möglichkeiten und Klangschönheiten. Heute greife ich nur noch selten zur Geige. Dabei war ich auf der Geige gar nicht so schlecht, habe alle möglichen Virtuosenstücke gespielt und bei einem Professor der Hochschule für Musik und Theater Hannover studiert. Aber ich habe gemerkt, dass mir die tiefere Lage, die G-Saite auf der Geige, besonders liegt. Die mochte ich besonders, und das hat auch mein Professor irgendwann gemerkt.
Es gibt das alte Vorurteil, dass Bratscher verhinderte Geiger sind, also technisch schlechter. In Wirklichkeit sind beide Instrumente, so ähnlich sie aussehen und gespielt werden, so einfach nicht miteinander zu vergleichen. Die Klangproduktion auf der Bratsche ist eine ganz andere, es geht weniger um Druck auf die Saite als um das Armgewicht und die ganze Körperhaltung. Die Bratsche ist größer und sperriger als eine Geige, man muss sich mehr Gedanken machen, wie man den Klang erzeugt. Das Vibrato auf der Bratsche hört man stärker als bei der Geige, und es ist schwieriger, wirklich sauber zu spielen. Der fälschliche Eindruck, die Bratsche sei nicht ganz so wichtig im Orchester, wird auch dadurch gestärkt, dass sie im klassischen Orchestersatz nur eine Mittelstimme ist, die weder als profilierte Melodie noch als Fundamentbass besonders in Erscheinung tritt.
Wir Bratscher sind eigentlich immer im Zentrum des Akkords und haben wechselnde Verbündete in Melodie und Bass – ein bisschen wie der Libero im Fußball.
Bis auf ein paar seltene Soli bei Bruckner, Tschaikowsky oder Schostakowitsch fällt man da nicht weiter auf. Trotzdem sind auch diese mittleren Füllstimmen wichtig für den Gesamtklang. Die Bratsche bildet zum Beispiel einen Komplementärklang zum Basston. Wir Bratscher sind eigentlich immer im Zentrum des Akkords und haben wechselnde Verbündete in Melodie und Bass – ein bisschen wie der Libero im Fußball.
Im zwanzigsten Jahrhundert wandelte sich die Bedeutung der Bratsche. Spätestens seit dem Komponisten Paul Hindemith, der selber Bratscher war, emanzipiert sie sich vom reinen Begleitinstrument hin zu einem durchaus solistisch praktizierten Instrument. In der Kammermusik sowieso, aber auch in Solokonzerten. Grundsätzlich kann man sagen: Die Bratsche macht eine ganz eigene Tonerzeugung. Die Kollegen im Orchester wissen das auch und haben Respekt, umgekehrt sind wir selbstironisch genug, um zu sagen: Es gibt keine Bratscher-Witze. Es ist alles wahr.“
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