Einkaufstipps hat man jeden Morgen in seinem Posteingang. Aber wo kaufen eigentlich die wahren Experten ein? Wir begleiten die Ballerina Anna Calvo auf der Suche nach neuen Schuhen.
Ein freundlicher Spätsommertag in München, am azurblauen Himmel ist keine Wolke zu sehen, das Gärtnerplatztheater strahlt frisch geweißelt. München zeigt sich mal wieder von seiner mediterranen Seite. Was den heutigen Rundgang noch angenehmer macht: Wir sind mit Anna Calvo zum Schuhekaufen verabredet, einer Balletttänzerin aus dem sonnenverwöhnten Valencia. Die 28-Jährige lebt seit 2013 an der Isar, gerade hat ihre fünfte Spielzeit am Gärtnerplatztheater begonnen.
Privat will es die zarte Ballerina, was ihr Schuhwerk angeht, ausschließlich bodenständig: Spitzenschuhe gehören in den Job – und nur dorthin. Im Alltag möchte sie es bequem haben und sich wohlfühlen. Also trägt Anna, sobald sie das Theater verlässt, bei gutem Wetter Sneakers und bei schlechtem rustikale Boots.
High Heels? Nicht ihr Ding. Schon aus gesundheitlichen Gründen: „Ich habe manchmal Probleme mit der Achillessehne, deshalb sollte sich mein Fuß in einer Ebene befinden.“ Außerdem fühle sie sich wohler, wenn der Schuh ihre Knöchel stabilisiert. Bloß nicht umknicken! Und auf Partys? „Na ja“, sagt sie. „Alles bis zu fünf Zentimetern ist schon okay. Aber ich mag solche Schuhe nicht wirklich.“
Anna – schwarze Lederjacke, grauer Sweater, schwarze Hose – bestellt einen Cappuccino im voll besetzten Straßencafé am Gärtnerplatz. Und sie erzählt, was im Augenblick ihr Leben bestimmt: die Proben für die nächste Premiere, Ballettdirektor Karl Alfred Schreiner erarbeitet mit seinen Tänzern gerade eine neue Choreografie.
Doch was bei ihr später auf der Bühne so federleicht und schwerelos aussehen wird, ist hart erarbeitet. Jeden Morgen um viertel vor zehn betritt die Ballerina das Theater, steht um Punkt zehn Uhr im Ballettsaal, wärmt sich auf, probt anschließend bis um zwei – und hat danach entweder von viertel vor drei bis halb sechs oder von sechs bis um neun eine weitere Probe. Ein täglicher Kraftakt für den Körper, der nicht ohne Blessuren abgeht. Vor allem an den Füßen.
„Gerade habe ich mal wieder zwei Blasen, an jedem eine“, sagt sie. Woher die stammen? Ach, das sei nach einem Sommer – und damit nach einer mehrwöchigen Tanzpause – ganz normal, wehrt sie ab. „Dann ist die Hornhaut weg, und es braucht einfach ein paar Wochen, bis sie wieder da ist. Insofern: alles gut.“ Schlimmer – und weit schmerzhafter – wären Schnitte. „Cuts“, wie sie sagt. Alles schon gehabt. Nur eben glücklicherweise nicht jetzt. Anna ist, wie alle Profitänzer*innen, hart im Nehmen.
„München ist voller Kultur! Die ganzen Theater, die Kinos, die Museen – das ist so wunderbar! Das Leben hier ist so angenehm, so freundlich. Und die Stadt so grün.“
Wir zahlen unseren Cappuccino und ziehen los, denn Anna braucht ein neues Paar Turnschuhe. Unterwegs erzählt sie, wie wohl sie sich in der Stadt fühlt, wie sehr sie angekommen ist. „München ist voller Kultur! Die ganzen Theater, die Kinos, die Museen – das ist so wunderbar! Das Leben hier ist so angenehm, so freundlich. Und die Stadt so grün.“ Einen Lieblingsort hat sie auch: „Die Dachterrasse vom Bayerischen Hof. Ich mag den Blick auf die Stadt, den man von dort hat.“
In der Isarvorstadt reiht sich ein Schuhgeschäft an das nächste, so werden wir schnell fündig. Die 28-Jährige ist ebenso unkompliziert wie pragmatisch. „I am not a shoe addict“, sagt sie, sie sei nicht schuhverrückt. Was passt, wird gekauft. In diesem Fall ist es gleich das zweite Paar, das Anna anprobiert: ein Paar feste, weiße Sneakers.
Weil das so schnell ging und wir deshalb noch ein wenig Zeit haben, bis sie zurück zum Training muss, beschließen wir, noch kurz über den Viktualienmarkt zu bummeln. Das hat sie bisher selten machen können, denn als Anna nach München zog, war das Gärtnerplatztheater bereits wegen Renovierungsarbeiten geschlossen. Die vergangenen Jahre hat sie ausschließlich in Ausweichspielstätten trainiert und auf der Bühne gestanden. Und ihre Nachmittage deshalb niemals in der Innenstadt verbringen können.
So ist sie denn auch spontan begeistert, als wir gegenüber vom Alten Peter ein Geschäft für Haushaltswaren und Spiele aus Holz finden. Sie lugt durch die offene Tür, ihr Blick fällt auf eine gläserne Vitrine. Ein kleiner entzückter Schrei, schon ist sie im Laden verschwunden. Anna hat Nussknacker entdeckt. In allen Größen, Farben und Formen. Mit sicherer Hand greift sie nach dem imposantesten von allen. Verliebt schaut Anna ihn an. „Mein Prinz“, lächelt sie. Anna ist jetzt Clara, die Rolle, die sie in „Der Nussknacker" tanzt.
Der Nussknacker, so erzählt sie, sei in der Interpretation des Gärtnerplatztheaters ein realer junger Mann, nämlich der Sohn des Patenonkels Drosselmeier. „Er repräsentiert eine Gegenwelt zu dem bieder-behüteten Umfeld, in dem Clara lebt. Er ist selbstbewusst, sinnlich und weltoffen und weckt in ihr die Sehnsucht nach mehr.“
Die Verkäuferin kommt auf uns zu. Was sie da in Händen halte, sei eine Handarbeit aus dem Erzgebirge. Für 98 Euro wäre sie zu haben. Anna dankt freundlich und stellt ihn behutsam in die Vitrine zurück. Sie hat ihren Prinzen ja schon gefunden, der Kollege wartet bereits im Ballettsaal auf ihre Rückkehr. Sie greift nach ihrer Einkaufstasche – immerhin hat es an diesem Nachmittag ja für ein Paar neue Sneakers gereicht.