In München leben viele Schriftsteller*innen, die einen ganz besonderen Bezug zur Stadt haben. Unsere Autorin möchte wissen, welchen Einfluss München auf ihr Schaffen hat. Den Anfang macht Daniel Speck, Bestsellerautor des Romans „Bella Germania“.
„Das wird jetzt eher ein Porträt über Gennaro“, sagt Daniel Speck und grinst, als wir in dem italienischen Restaurant gegenüber der Großmarkthalle Platz nehmen. Da kommt der Besitzer schon auf uns zu, heute in weißer Schürze, weil er selbst an den Herd muss, sein Schwiegersohn ist nämlich krank. Er begrüßt den Schriftsteller und fragt im gleichen Atemzug Fotograf Frank, was er denn hier wolle. „Du kommst doch immer Donnerstagnacht zum Pizzaessen, heute ist erst Dienstag!" Anscheinend bin ich die Einzige, die Gennaro Bussone nicht kennt. Noch nicht.
Als ich Daniel Speck gefragt habe, ob er mir sein München zeigen möchte, hat er nicht nur schnell zugesagt, sondern auch den perfekten Ort für ein Treffen direkt hinterher geschoben: Die Ladenzeile gegenüber der Großmarkthalle, in der sich auch das Restaurant befindet, in dem wir nun sitzen. Dieses Viertel spielt nämlich eine bedeutende Rolle für seinen Debütroman Bella Germania, der 2016 veröffentlicht wurde. Die deutsch-italienische Familiengeschichte beginnt mit der Modedesignerin Julia, deren Welt plötzlich auf dem Kopf steht, als ein unbekannter Mann behauptet, ihr Großvater zu sein. Sie erfährt von der tragischen Liebesgeschichte zwischen ihm und der Italienerin Giulietta – Julias Großmutter. Der Roman, der sich über drei Generationen spannt und zeithistorische Elemente mit einfließen lässt, wurde ein riesiger Erfolg und schließlich für das ZDF verfilmt.
Ich frage ihn, ob Gennaro etwa bei der Recherche geholfen hat. „Indirekt“, meint der Autor. „Ich habe mal eine Doku über Gennaros Familie gesehen. Die hatte mich zu der Geschichte inspiriert, aber im Prinzip haben das alle Italiener in München. Er ist eine Quelle von vielen“, sagt er und bestellt Spaghetti con Salsiccia bei seinem Freund, während ich mich für Arrabiata entscheide. Als das Buch schließlich herauskam, wollte Speck testen, ob er richtig lag in puncto Authentizität. „Also hab ich es ihm in die Hand gedrückt. Ein paar Wochen später bekam ich mitten in der Nacht einen Anruf, Gastronomenleben halt, und Gennaro hat gesagt: Du, woher weißt du des? Des is ja mei Gschicht!“ Er grinst und fügt hinzu, dass das besonders lustig war, weil der Italiener am Telefon klingt wie ein waschechter Bayer. „Gennaro hat in dem Viertel seine Kindheit verbracht, auch auf dem Großmarkt, genauso wie Vincenzo im Roman. Als ich das erfahren habe, dachte ich: Okay, irgendwas habe ich richtig gemacht.“
„Ein paar Wochen später bekam ich mitten in der Nacht einen Anruf, Gastronomenleben halt, und Gennaro hat gesagt: Du, woher weißt du des? Des is ja mei Gschicht!“
Die beiden freundeten sich an und der Roman wurde fortan in Gennaros Restaurant verkauft. „Nicht ich habe die Bücher signiert, sondern er“, lacht Speck und nickt dem Koch zu, der zurück an unseren Tisch kommt, sich setzt und sofort erzählt: „Ruft gerade eine Frau an, die in zwei Wochen für ihre Hochzeit einen Tisch will. Mitten im Weihnachtsgeschäft. In Italien wissen wir: Zuerst wird das Restaurant geplant, und zwar zwei Jahre im Voraus.“ Ich muss schmunzeln, sage aber nichts. „Das sind junge Bräute ohne Erfahrung“, meint Gennaro kopfschüttelnd. „Wenn du zwei, drei Mal geheiratet hast, weißt du, dass du das vorher machen musst. Des konns ja ned sei!"
Vor Lachen verschlucke ich mich fast an meinem Wasser, Frank grinst und Daniel wirft mir einen Blick zu, der bedeutet: Weißt du, was ich meine? „Aber zurück zum Roman“, sagt Gennaro. „Bella Germania ist ein authentisches Buch. Es ist auf unser Viertel geschrieben.“ Und dann packt der Gastronom Geschichten von früher aus. Wie er und seine Freunde sich als junge Italiener beim Ausgehen herausgeputzt haben, immer in Anzug und Krawatte. „Wir sahen aus wie die in Grease! Aber auf dem Schulhof ging es dann ab“, erinnert er sich. „Du Spagehttifresser wurde ich genannt, also hab ich zurückgeschrien: Du Kartoffel! Und dann hat's gscheppert!“
Drei dampfende Teller Pasta stehen mittlerweile vor uns, Parmesan rieselt darüber, es schmeckt, als säßen wir südlich der Alpen. Ich frage Daniel, ob er findet, dass München die nördlichste Stadt Italiens ist, oder München sich mit dieser Aussage hochgradig überschätzt. Er wägt ab. „Es gibt 700 italienische Restaurants in München und das prägt die Stadt natürlich“, beginnt er. „Außerdem erinnert die Lebensart manchmal an die mediterrane, zum Beispiel durch den Biergarten. Dieses Draußensitzen und Gucken.“ Auch in der Architektur ist viel vom italienischen Baustil vertreten und die Leopoldstraße dient als Corso, auf dem flaniert wird. Da werfe ich ein, dass Italiener im Flanieren allerdings wesentlich besser sind. „Eben. Der Münchner wäre gerne Italiener, ist aber keiner“, resümiert er.
Daniel erklärt, wie wichtig es für ihn ist, ganz bewusst rauszugehen, um sich zu entspannen. Den Mut, eine Frage ungelöst zu lassen. Da spricht ein geübter Autor, der seinem Prozess vertraut.
Als wir mit dem Essen fertig sind, zieht der Autor sein aktuelles Buch aus der Tasche. Terra Mediterranea ist ein umfangreiches Geschichtenbuch, das die Küche des Mittelmeers mit den Erzählungen leidenschaftlicher Köch*innen aus Italien, Tunesien und Palästina vereint. Er signiert es für Gennaro und schenkt es ihm. „Es geht viel um kulturelle Verbindungen, Migration und Familiengeschichten“, erklärt er seinem Freund.
Nach dem Durchblättern verabschieden wir uns von Gennaro und steigen in Daniels Oldtimer – einem Iso Rivolta, der eine große Rolle im Roman spielt. Dann fahren wir zu der Wohnung des Autors, wo Frank und ich noch auf einen Kaffee eingeladen sind. Unterwegs winken uns immer wieder Leute zu, auf dem Gelände der Großmarkthalle werden wir direkt angehalten und in ein Gespräch über das schicke Auto verwickelt. Ich frage Daniel, wie schnell der Oldtimer denn fahren kann, und er antwortet, dass der Iso 300 PS hat. Ich bin baff, da wirft er mir einen prüfenden Blick von der Seite zu. „Das ist ein ernstzunehmendes Auto“, meint er und ich nicke ehrfürchtig.
In der gemütlichen Altbau-Wohnung setzen wir uns in die Küche, während Frank Fotos macht. Die Siebträgermaschine rattert, Panettone wird aufgeschnitten und ich frage Daniel nach seiner Schreibroutine. „Mein Tag beginnt mit Meditation und Yoga. Danach lese ich hier am Tisch Zeitung und dann gehe ich sozusagen ins Büro“, sagt er mit einer Handbewegung Richtung Arbeitszimmer. „Abends koche ich und versuche, ein Privatleben zu haben. Zur Zeit schreibe ich aber so intensiv, dass ich mich spät nochmal ransetze. Die Welt ist dann ruhiger.“
Er reicht mir eine Tasse Espresso. Kräftig schmeckt er, aber nicht bitter, genau so, wie er sein soll. Ich frage ihn, wo man seiner Meinung nach den besten Kaffee in München bekommt. Da klingelt der Postbote an der Tür, Daniel steht auf und ruft mir aus dem Flur zu: „Im Eiscafé Italia! Und in der Bar Centrale!“ Diese Vorliebe macht Sinn, denn der Münchner Autor ist als junger Mann nach Rom gegangen, um Filmgeschichte zu studieren. Vielleicht wäre er sogar dort geblieben, doch es war schwer, als Ausländer einen Job im Filmgeschäft zu bekommen – also zog er zurück nach München, wo er an der Drehbuchwerkstatt der Hochschule für Fernsehen und Film angenommen wurde.
Ich frage mich, ob er das Gefühl hat, in seiner Heimat hängen geblieben zu sein: einmal Münchner, immer Münchner? „Ich bin gerne hier“, erzählt er. „Durch meine Recherchen bin ich oft in Ländern unterwegs, in denen Chaos herrscht. Was ich hier schätze, ist die Gemütlichkeit und der Frieden. Ich liebe die Nähe zur Isar und gehe nach dem Mittagessen oft eine Stunde spazieren.“ Also sprechen wir über das Gehen in München, das in so vielen Vierteln durch die Natur führt und beim Abschalten hilft. Es sei denn, die Gedanken drehen sich um den Text, an dem man gerade sitzt. Daniel erklärt, wie wichtig es für ihn ist, ganz bewusst rauszugehen, um sich zu entspannen. Den Mut, eine Frage ungelöst zu lassen. Da spricht ein geübter Autor, der seinem Prozess vertraut.
Frank setzt sich zu uns und wir gleiten ab in ein Gespräch über Herkunft und Migration. Daniels Großvater, Otto Speck, kam mit nichts aus Oberschlesien nach München und wurde hier schließlich von einer Familie aufgenommen. „Geschichten von Flucht und Verlust von Heimat haben meine Familie geprägt. Ich wollte immer an einem Ort leben, an dem ich mich geborgen fühle. Ich wollte auf keinen Fall wegmüssen.“
Sein Großvater, heute 96 Jahre alt, legte allen Umständen zum Trotz eine bemerkenswerte Karriere hin. Er leitete den Lehrstuhl für Sonderpädagogik an der LMU und wurde später Vizepräsident der Universität. Für Daniel Speck ist er eine Vaterfigur, schließlich ist ihm der eigene, ein Tunesier, unbekannt.
Ich frage ihn, wo er seine Wurzeln spürt und ob er ein Heimatgefühl zu dem nordafrikanischen Land hat. „Wenn ich an meine Wurzeln denke, denke ich an meinen Großvater“, sagt er klar und ohne zu zögern. Dann spricht er weiter, ein echter Geschichtenerzähler eben. „Du hast doch auch Migration in deiner Geschichte, oder Anika?“, fragt er schließlich und ich nicke. Dann muss ich lächeln, denn: Ein Geschichtenerzähler ist im ersten Schritt ein Geschichtensammler.
Mehr zu Daniel Speck und seiner Arbeit gibt es hier.