Schon klar: München ist für viele die „nördlichste Stadt Italiens". Und tatsächlich: Den Italoflair kann man nicht schöner am eigenen Leib erfahren als bei einer Vespatour durch die Stadt. Unsere Autorin ist mit einem Leihroller durch Monaco di Baviera gekurvt.
Es gibt diese Situationen, die alle aus München in Italien schon mal erlebt haben. Vor drei Jahren war ich einmal in einem Supermarkt in Vietri sul Mare an der Amalfiküste, es war einer dieser bunten italienischen Supermärkte, die nur aus drei Regalen bestehen. Schwimmflügel, Glühbirnen und frische Tomaten lagerten neben der Kasse, eine Großmutter in Kittelschürze nahm meine Münzen entgegen. „Tedesca?“, fragte sie, „Deutsche?“. Ich nickte und spezifizierte. „Monaco“, sagte ich und betonte auf der ersten Silbe.
In Italien liebt man die bayerische Landeshauptstadt. Und das nicht nur traditionell am zweiten Wiesn-Wochenende, wenn sich Hunderte Wohnmobile mit italienischen Kennzeichen über den Brenner Richtung Monaco di Baviera schieben.
„Ahhh, Moooonaco“, erwiderte die Großmutter, ihr Gesicht erstrahlte und dann rief sie ihrem Sohn etwas zu, der gerade hinter der Frischetheke Mortadella in dicke Scheiben schnitt. Ich kürze an dieser Stelle etwas ab, aber nach wenigen Minuten hatte sich die Familie um mich versammelt, es wurde wild gestikuliert und schließlich erfuhr ich, dass der Enkelsohn in München lebt und bei „Da Mario“ in der Adalbertstraße als Kellner arbeitet.
Man wollte den Sohn natürlich sofort anrufen und von der Münchnerin grüßen, ich bekam drei Tomaten extra in meine Plastiktüte gepackt und freute mich an der Beliebtheit meiner Stadt in Italien – vor allem aber daran, dass es wohl keinen noch so winzigen Ort in Italien gibt, in dem nicht irgendeine italienische Großfamilie lebt, deren Vater, Schwester, Bruder, Freundin oder Enkel irgendwann einmal nach München ausgewandert ist.
Wir leihen uns eine knallige Vespa, das Fahrzeug gewordene Italienklischee; wir fahren los, mein blau-weißer Rock flattert im Wind, ich schlinge meine Arme um Hasans Hüfte und fühle mich wie die junge Sophia Loren.
Kein Wunder: In Italien liebt man die bayerische Landeshauptstadt. Und das nicht nur traditionell am zweiten Wiesn-Wochenende, wenn sich Hunderte Wohnmobile mit italienischen Kennzeichen über den Brenner Richtung Monaco di Baviera schieben. Beinahe 28.000 Menschen aus Italien leben dauerhaft in München, nach den Menschen aus Kroatien und der Türkei sind sie die drittgrößte migrantische Gruppe in der bayerischen Landeshauptstadt. Und das hinterlässt seine Spuren.
Noch weniger wundert es also, dass München Italien ehrt, sein Italienflair zelebriert, wo es nur geht, und es teilweise bis ins Klischeehafte überzeichnet. Genau das will ich heute einmal selbst erleben und einen italienischen Sommertag in München verbringen.
Zunächst verabrede ich mich mit meinem Freund Hasan, dem elegantesten Mann, den ich kenne. Rein optisch geht er ziemlich gut als Italiener durch, finde ich, denn ab Mai trägt er grundsätzlich keine Strümpfe mehr in Schuhen, und außerdem existiert kaum ein Foto von ihm ohne Zigarette im Mundwinkel. Federico Fellini hätte ihn für „La Dolce Vita“ auch nicht besser casten können. Wir leihen uns eine knallige Vespa, das Fahrzeug gewordene Italienklischee; wir fahren los, mein blau-weißer Rock flattert im Wind, ich schlinge meine Arme um Hasans Hüfte und fühle mich wie die junge Sophia Loren.
Wir knattern vom Opernplatz ausgehend die Maximilianstraße hinunter Richtung Roma. Wenn die Sonne tief steht, sieht hier sowieso alles aus wie in Rom oder Mailand.
Primo Turno, erste Runde: Wir knattern vom Opernplatz ausgehend die Maximilianstraße hinunter Richtung Roma, vorbei an den bernsteinfarbenen Fassaden und Arkaden. Wenn die Sonne tief steht, sieht hier sowieso alles aus wie in Rom oder Mailand. Im Roma (Maximilianstraße 33), jenem legendären Restaurant-Café, das früher schon eine Art Kultstätte für die Schönen und Reichen der Stadt war und seit 2019 in etwas modernerem Gewand wiedereröffnet hat, trinken wir, klar, einen Espresso.
Im Zweifel wird man hier zwar nicht unbedingt von italienischem Servicepersonal bedient, aber es fühlt sich trotzdem an wie auf einer italienischen Piazza – Hauptsache: sehen und gesehen werden. Ich blicke nebenan in die Schaufenster des italienischen Flagship-Stores von Gucci, und es wäre nicht verwunderlich, wenn gleich auch noch ein giftgrüner Lamborghini durch Münchens edelste Straße donnern würde (das passiert nämlich ständig).
Weiter geht es Richtung Maximilianeum, wir umrunden einmal den Sitz des Landesparlaments, und fahren weiter, immer die Isar entlang Richtung Viktualienmarkt, an der Schrannenhalle machen wir wieder Halt. Im Eataly kaufe ich etwas Bottarga – gesalzener und an der Sonne getrockneter Rogen, den man über Pasta reibt und den ich auf Sardinien zum ersten Mal gegessen habe und seither liebe.
Die gelbe Theatinerkirche St. Kajetan und Adelheid wurde von einem Italiener erbaut, im Stil des italienischen Hochbarock. Das passt doch hervorragend – und sieht man in München recht häufig.
Natürlich gibt es unzählige italienische Feinkostläden in der Stadt, aber das Eataly (Blumenstraße 4) ist der unangefochtene Star, denn hier gibt es wirklich alles an italienischen Spezialitäten auf 4.600 Quadratmetern, was man sich nur erträumen kann – vom Carnaroli-Reis über Pistazien-Tartufo bis hin zum wirklich idealen Pizzamehl. Apropos: Wir haben zwar noch keinen Appetit, aber dem Hörensagen nach ist die neapolitanische Pizza, die in der Schrannenhalle serviert wird, mit eine der besten der Stadt (oder zumindest diejenige, die am ehesten so schmeckt wie in Neapel, also mit luftigem Rand und einer leicht suppigen Mitte mit einer Sauce aus San-Marzano-Tomaten, überbacken mit Fior di Latte).
Secundo Turno, zweite Runde: Das Gute an einem Roller ist ja, dass man sich frei und unabhängig bewegen kann, wir schlängeln uns also am Altstadtring vorbei, als wären wir im römischen Kreisverkehr, rücken bis zur Ampel vor und fahren Richtung Schwabing, cruisen zuvor aber eine Extrarunde um den Odeonsplatz. Denn: Die gelbe Theatinerkirche St. Kajetan und Adelheid wurde von einem Italiener erbaut, im Stil des italienischen Hochbarock. Das passt doch hervorragend – und sieht man in München recht häufig. Auch die Residenz und die Feldherrnhalle direkt daneben wurden entweder von italienischen Architekten oder nach italienischen Vorbildern gebaut.
Was macht München eigentlich zur nördlichsten Stadt Italiens? Neben den vielen Menschen aus Italien, die hier leben, der Architektur und der italienischen Kulinarik, ist es glaube ich vor allem das Licht.
Wir wollen weiter die Ludwigstraße entlang, am Siegestor vorbei und kurz einen Halt machen in der Bar Giornale (Leopoldstraße 7, direkt an der Ecke Georgenstraße). Agostino, unser Lieblingsitaliener in München, reicht uns einen Espresso an der Theke, natürlich mit braunem Zucker, alles andere wäre Frevel. Wir überlegen kurz, ob wir uns das volle Italienprogramm geben wollen und am Nymphenburger Schloss noch mit der venezianischen Gondel den Kanal entlangfahren sollen (Ostern bis Mitte Oktober, Freitag bis Sonntag, 11–18 Uhr). Aber wir verwerfen die Idee, denn wir haben ja schon eine ideale Art der Fortbewegung gefunden, und langsam bekommen wir dann doch auch etwas Appetit.
Terzo Turno, dritte Runde: Was macht München eigentlich zur nördlichsten Stadt Italiens? Neben den vielen Menschen aus Italien, die hier leben, der Architektur und der italienischen Kulinarik, ist es glaube ich vor allem das Licht. Selbst ohne Saharastaub ist das Licht in der Stadt an manchen Tagen gelber und satter als anderswo diesseits des Brenners. Zwar fehlt München natürlich das Meer, aber dafür glitzert eben der weiß-blaue Himmel, und wenn dann auch noch ein paar Eisbachsurfer mit Brett am Radl neben einem an der Ampel warten, dann kann man die Entfernung zum Meer schnell vergessen.
Zum Sundowner bestellen wir – si, chiaro! – erst mal einen Aperol Spritz und ein stilles Wasser der Marke Aqua Monaco.
Ein guter Ort, um möglichst lange das Licht des Tages zu genießen, ist übrigens die Terrasse der Goldenen Bar (Prinzregentenstraße 1) im Haus der Kunst. Wir steigen die Stufen zur Terrasse empor und suchen uns ein schattiges Plätzchen unter dem Vordach. Abends werden hier hervorragende Cocktails serviert, zum Sundowner bestellen wir – si, chiaro! – erst mal einen Aperol Spritz und ein stilles Wasser der Marke Aqua Monaco (noch so eine kleine italienisch-münchnerische Liebesgeschichte), dazu eine Dose Ölsardinen mit Zitrone und Brot.
Auch diese Art des Aperitivo ist ja sehr italienisch: Vor dem eigentlichen Abendessen werden zu leichten Drinks ein paar Kleinigkeiten serviert. Ob ich später dann noch bei Da Mario in der Adalbertstraße vorbeischauen soll und den Kellner aus Vietri sul Mare grüßen werde? Mal sehen. Seine Familie würde sich jedenfalls freuen. Den Roller haben wir für heute abgestellt, in einer Reihe mit den vielen bunten Vespas dieser Stadt. Die Sonnenbrille aber legen wir natürlich auch dann noch nicht ab, als die Sonne längst untergegangen ist. Das hätte Fellini schließlich auch nicht erlaubt.