Nadine Nurasyid war erst erfolgreiche Football-Spielerin, dann Trainerin bei den Munich Cowboys – als erster weiblicher Headcoach in der Football-Bundesliga überhaupt. Als Trainerin und Football-Expertin ist sie gefragt wie nie. Unsere Autorin hatte das Glück, mit der diesjährigen München-Botschafterin für Football zu sprechen und sogar ein paar Bälle mit ihr zu wechseln.
Ich treffe Nadine Nurasyid an einem sehr heißen Sommertag im Dantestadion in Münchner Stadtteil Neuhausen. Im benachbarten Schwimmbad herrscht reger Betrieb. Oft stand ich selbst in Badebekleidung drüben am Zaun und verfolgte, von der unglaublichen Geräuschkulisse angezogen, das ein oder andere Football-Spektakel: Hymnen per Lautsprecher, Cheerleaderinnen tanzen und wedeln mit gelben und schwarzen Puscheln. Vom Rand des Spielfelds fliegt ein Ball, vierschrötige Kerle mit Helmen und Schulterpolstern stürzen aufeinander zu, rangeln, fallen, stehen sich im Weg. Vom Ball keine Spur mehr, das Spiel stockt. War's das schon? Beim besten Willen ist für mich kein System erkennbar.
Football-Expertin Nadine wird mir sicher gleich erklären können, worauf es beim Football ankommt. Außerdem habe ich noch einen kleinen Anschlag vor. Wenn ich die deutsche Football-Koryphäe schon mal für mich ganz allein habe, werde ich sie fragen, ob sie mir hier auf dem Rasen zeigen kann, wie man einen Football richtig hält und wirft.
Und da kommt sie auch schon: Strahlendes Lächeln, Sonnenbrille, Shorts, Sneakers und Glitzershirt, plaudert noch kurz mit dem Platzwart und dann setzen wir uns in den Schatten auf die obersten Ränge des Stadions und ich stelle meine Fragen:
Frau Nurasyid, können Sie in wenigen Sätzen erklären, worum es beim Football geht?
Gerne. Es geht darum, dass elf Offense-Spieler (Angriff) gegen elf Defense-Spieler (Verteidigung) spielen. Und es geht immer darum, dass die „Offense“ Raumgewinn machen muss und die „Defense“ das mit viel Körpereinsatz zu verhindern versucht. Die Angriffsspieler müssen jeweils zehn Yards, das sind ungefähr neun Meter, überbrücken. Schaffen sie das nicht innerhalb von vier Versuchen, geht der Ball an die gegnerische Mannschaft. Das Ziel ist es natürlich, am Ball zu bleiben, und so viel Raum zu überbrücken, dass man am Schluss in der gegnerischen Endzone landet.
Reicht es, wenn ein Spieler die Endzone erreicht?
Ganz genau, der muss entweder mit dem Ball hineinlaufen oder den Ball in der Endzone empfangen. Dann hat man den sogenannten „Touchdown“ erzielt. Dabei spielen sowohl die Offense als auch die Defense nach einer einstudierten Choreografie, die muss entsprechend ablaufen. Es geht nicht nur darum, welche Spieler ich auf das Feld schicke, sondern auch, welche Choreografie zum Ziel führt oder welches „Play“ (Spielzug) sich als das richtige erweist.
„Man zieht seine Montur an und ist dann in einer anderen Rolle. Und dann einfach mal jemanden physisch dominieren zu können und zu dürfen, für mich persönlich war das etwas ganz Besonderes.“
Ist das vergleichbar mit der Taktik beim Fußball?
Ja, nur deutlich komplizierter. Fußball hat einen Spielfluss, da geht es hin und her. Das ist im Football anders: Da ist Spielzug – Pause – alle sortieren sich neu – das Play kommt, der nächste Schachzug wird geplant – dann ausgeführt – und wieder ist Pause. Dazwischen ist viel Zeit für Kommunikation, sich zu überlegen, was mache ich als nächstes. Wenn man Football das erste Mal sieht, denkt man, Menschen laufen kopflos ineinander hinein, aber genau das ist es eben nicht. Man muss die Augen am richtigen Ort haben, man muss seine sogenannten „Key Reads“ finden und lesen, d.h. anhand von genauen Beobachtungen des Gegners blitzschnell Rückschlüsse auf seine Taktik und die nächsten Spielzüge ziehen.
Hier im Dantestadion sind Sie auf den Geschmack gekommen, hier hat 2013 Ihre Karriere begonnen. Was ist das Tolle am Football?
Komplexität und Athletik. Beim Football passieren viele Dinge und viele davon sehr schnell, das heißt, man muss immer fokussiert sein und immer mit dem Kopf dabeibleiben. Dann hat man sämtliche Körperformen auf dem Feld stehen. Jeder hat unterschiedliche Fähigkeiten und Fertigkeiten, je nachdem, was die jeweilige Positionsgruppe erfordert. Die einen müssen schnell sein, die anderen wiederum müssen kräftiger sein, das macht es so spannend, ebenso wie die Athletik, die da gefordert ist und tatsächlich auch diese Schutzausrüstung. Man zieht seine Montur an und ist dann in einer anderen Rolle. Und dann einfach mal jemanden physisch dominieren zu können und zu dürfen, für mich persönlich war das etwas ganz Besonderes.
Spielen Sie noch Football?
Nein, ich spiele nicht mehr, das lässt das Coaching nicht mehr zu. Ich dachte immer, Spielen sei intensiv und „zeitraubend“, bis ich dann mit dem Coachen begonnen habe.
„Ich freue mich wahnsinnig auf die Wiesn, das ist ein absolutes Muss. Ansonsten bin ich auch im Englischen Garten und an der Isar unterwegs, da gefällt es nicht nur mir, sondern auch meinem Hund.“
Und jetzt sind Sie auch noch zur offiziellen Football-Botschafterin der Stadt München ernannt worden. Anlass ist das NFL-Spiel in München am 10. November. Da kommt ja noch einiges an Aufgaben on top.
Die Stadt empfängt die NFL (National Football League) ganz offiziell mit einem Welcome-Dinner, dort werde ich zum Beispiel vertreten sein, aber ganz grundsätzlich setze ich mich als Botschafterin dafür ein, mehr Sichtbarkeit für den Football zu schaffen. Wenn so ein großes Event schon mal zu uns in die Stadt kommt, dann möchten wir natürlich auch, dass der Sport per se ein bisschen bei uns wachsen kann, wir Nachwuchstalente für den Sport begeistern können und auch den einen oder anderen Fan dazu gewinnen.
Apropos Nachwuchs. Schicken Eltern ihre Kinder zum Football-Training, oder ist es manchen zu gefährlich?
Ja, natürlich hat der American Football einen gewissen Ruf, aber nichtsdestotrotz mangelt es nicht an Nachwuchs. Neben dem Tackle-Football in Ausrüstung, also mit Shoulder Pad und Helm, gibt es ja auch noch die kontaktfreie Variante Flag Football und das ist natürlich die perfekte Sportart, um einzusteigen. Flag Football wird bei Los Angeles 2028 ja auch olympisch.
Wo sitzen Sie eigentlich als Trainerin? In einem dieser Häuschen am Spielfeldrand?
Nein, ich halte mich in der Teamzone auf, innerhalb des Rasens und abseits des Spielfeldes.
„Es ist alles für Football ausgerichtet: Wir haben gutes Bier, wir haben gutes Essen, also da kann nichts schiefgehen.“
Und da dürfen Sie auch hin- und her rennen und Ihrer Mannschaft Anweisungen geben?
Genau, solange ich nicht über meine Linie trete und in die Zone der Schiedsrichter komme. Wenn ich den berühre, gibt es auf jeden Fall eine Strafe. Nicht alle Trainer sind an der Seitenlinie, manche sitzen auch oben in der Box, mit denen bin ich per Funk verbunden. Denn diese Choreografie, von der ich vorhin gesprochen habe, die erkennt man von der Seitenlinie meist gar nicht, sondern man braucht den Blick von oben.
Gibt es eine Gemeinsamkeit zwischen Ballett und Football? Sie haben als Kind ja im Bayerischen Staatsballett getanzt?
Tatsächlich, die gibt es: Disziplin und das Auge fürs Detail. Disziplin wird in beiden Sportarten ganz großgeschrieben und während man sich das im Ballett natürlich sehr gut vorstellen kann, weil es eine so ästhetische Sportart ist, würde man es jetzt vielleicht als Laie oder Zuschauer im Football nicht denken. Aber auch da ist alles bis ins Detail geplant und choreographiert, und die Details machen am Schluss den Unterschied über Sieg oder Niederlage.
Jetzt kommt die NFL am 10. November mit der Partie Carolina Panthers gegen New York Giants nach München. Was gibt es über die Mannschaften zu sagen?
Also ganz grundsätzlich, dass die NFL zu uns nach München kommt, ist schon einmal unbeschreiblich. Normalerweise muss man in die USA reisen, um etwas davon mitzubekommen und um sich weiterzubilden. Die Partie selbst ist eine normale Partie in der regulären Saison mit einem Team, den Carolina Panthers, das im letzten Jahr nicht besonders gut abgeschnitten hat. Aber laut Statistik werden die, die im Vorjahr schlecht abgeschnitten haben, im Folgejahr eines der guten Teams sein. Sie haben auf jeden Fall Spieler, die man im Auge behalten muss. Auch einen ganz jungen Quarterback, der noch eine große Zukunft vor sich hat.
„Football lebt nicht nur davon, was auf dem Rasen passiert, sondern auch von dem ganzen Drumherum.“
Wo werden Sie das Spiel verfolgen?
Das steht zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht fest, aber ich werde sehr wahrscheinlich im Stadion, in der Allianz Arena sein.
Haben Sie als Münchnerin auch ein paar Tipps für die spielfreie Zeit?
Man sollte sich auf jeden Fall die Zeit nehmen, durch die Altstadt zu schlendern mit ihren Sehenswürdigkeiten. An vielen Orten werden dort Fan-Aktivierungen geboten sein. Oder den Englischen Garten besuchen und dort am Eisbach den Surfern zuschauen, die auch im Winter aktiv sind. Und über den Viktualienmarkt laufen, sich etwas Leckeres zum Essen und zum Trinken holen.
Und privat, was machen Sie in München so in Ihrer Freizeit? Geht es noch manchmal in die Oper?
In der Oper war ich lange nicht mehr, aber es steht auf jeden Fall mal wieder an. Was ich total spannend finde, ist, wie sich das Werksviertel entwickelt. Da habe ich so ein paar Sachen noch auf meiner Bucket-List, die ganzen Rooftop-Bars, vielleicht noch einmal mit dem Riesenrad fahren, und da kann man auch kulinarisch alles Mögliche testen. Überall, wo es gutes Essen gibt, bin ich auch. Das heißt, ich bin auch ein großer Tollwood-Fan, egal, ob Sommer oder Winter, da kann man sich auch ganz gut durchfuttern. Ich freue mich wahnsinnig auf die Wiesn, das ist ein absolutes Muss. Ansonsten bin ich auch im Englischen Garten und an der Isar unterwegs, da gefällt es nicht nur mir, sondern auch meinem Hund.
Ballett als Kind, später dann Kampfsport und Fußball, mit 27 Jahren zum Football gekommen. Sie beherrschen nicht zufällig auch noch Cheerleading?
Nein, das kann ich tatsächlich nicht, ist aber auch eine knallharte Sportart. Da ziehe ich echt meinen Hut vor.
„Disziplin wird in beiden Sportarten ganz ganz großgeschrieben und während man sich das im Ballett natürlich sehr gut vorstellen kann, weil es eine so ästhetische Sportart ist, würde man es jetzt vielleicht als Laie oder Zuschauer im Football nicht denken.“
Cheerleading ist auch nicht wegzudenken vom Football, oder?
Definitiv, das gehört genauso dazu wie Pregame-Parties, bei denen man sich davor schon trifft, die ersten kühlen Getränke und Hotdogs und Burger zu sich nimmt und sich so schon mal auf das Spektakel einstimmt. Football lebt nicht nur davon, was auf dem Rasen passiert, sondern auch von dem ganzen Drumherum. Dazu zählt auch die Show in der Halbzeit, wo ja meistens ein Music-Act geboten ist.
Gibt es noch etwas, was Sie den Gästen, die zum NFL-Spiel nach München kommen, mit auf den Weg geben möchten?
Ja, auf jeden Fall rechtzeitig nach München kommen und dieses ganze Spektakel genießen. Sich Zeit nehmen vorher und nachher auch, um die Stadt zu erkunden. Ganz wichtig: rechtzeitig an die Allianz Arena kommen, denn die U-Bahnen werden voll sein, aber auch, um die Pre-Game-Show und das Spektakel auf der Esplanade vor der Allianz Arena zu genießen und all die Orte, über die wir vorhin schon gesprochen haben. Und ansonsten: Es ist alles für Football ausgerichtet – wir haben gutes Bier, wir haben gutes Essen, also da kann nichts schiefgehen.
Nadine Nurasyid wurde 1986 in München geboren. Als Kind war sie eine ehrgeizige Balletttänzerin und trat mit dem Bayerischen Staatsballett auf. Erst mit 27 Jahren begann sie ihre Karriere bei den Munich Cowboys, zunächst als Spielerin, später wurde sie zur Trainerin der Herrenmannschaft und damit zur ersten weiblichen Cheftrainerin eines Männerteams der German Football League.
Aktuell trainiert sie das Stuttgarter Team „Stuttgart Surge“ als Defense Assistant Coach. Sehr gefragt ist Nurasyid auch als TV-Expertin für American Football bei DAZN und RTL. Im Laufe ihrer Sportkarriere erzielte sie als Spielerin, unter anderem auch für die deutsche Nationalmannschaft, und Trainerin große Erfolge. So wurde Nadine Nurasyid 2018 als „MVP-Defense (Beste Spielerin-Defense)“ im Ladies Bowl und 2022 als „Coach of the Year“ gewürdigt. Ihre Leistungen als Spielerin, ihre Erfolge als Trainerin und ihre TV-Auftritte als Football-Expertin machen sie zu einer der bekanntesten Persönlichkeiten im deutschen American Football.
Die Stadt München hat 2024 in Nadine Nurasyid die perfekte Football-Botschafterin gefunden, um anlässlich der Partie Carolina Panthers gegen New York Giants am 10. November in der Allianz Arena die Werbetrommeln für Football in München und weit darüber hinaus zu rühren.