München ist geprägt von außergewöhnlichen Frauen. Wir stellen einige von ihnen vor. Dieses Mal: Katharina Inselkammer. Mit ihrem integrativen Deli beweist die Wiesnwirtin, dass München die Menschen nicht nur während des Oktoberfests zusammenbringt.
Ein Tag, an dem man in der heißen Luft Pommes frittieren könnte. Ein Ort zwischen Knödelplatz, Püreelinie und Kartoffelgleis. Schlaraffenland? Nein. Das ehemalige Pfanni-Gelände im Münchner Osten. Dort wo früher Kartoffeln zu Brei verarbeitet wurden, wächst seit Sommer 2017 das junge Werksviertel heran. 1200 Wohnungen und bis zu 10.000 Arbeitsplätze sollen hier entstehen.
„Das geht alles so rasant!“, sagt Katharina Inselkammer. Die Gastronomin steht im Werksviertel und zeigt erst hinter, dann vor sich. „Da drüben gibt’s jetzt eine Absinth-Brennerei und in dem Bauloch vor uns steht bald das neue Konzerthaus.“ Inselkammer kennt München und seinen Wandel: Seit bald 30 Jahren arbeitet sie in der Gastronomie.
Von den 30 Mitarbeiter*innen sind ein Drittel besondere Menschen – so nennt Katharina Inselkammer Menschen, die körperlich oder geistig eingeschränkt leben. Auf die Idee kam sie durch ihren Sohn.
Mit ihrem Mann Peter schmeißt sie das Platzl Hotel beim Alten Hof und beherbergt Gäste aus aller Welt. Zum Oktoberfest packt sie im Armbrustschützenzelt mit an, das die Familie seit mehr als 25 Jahren betreibt. Sechs Millionen Menschen aus 75 Nationen kommen jedes Jahr zur Wiesn, prosten sich zu und liegen sich zu Robbie Williams' „Angels“ in den Armen. Das große Dorf München, die „Weltstadt mit Herz“ steht seit jeher für Vielfalt, Toleranz und Zusammenhalt.
Wenn sich aber immer mehr Menschen immer vielfältiger vermengen, wächst auch die Herausforderung, zusammenzuwachsen und miteinander zu leben, das weiß kaum eine so gut wie Katharina Inselkammer. Auch deshalb hat sie im November 2017 ihr neuestes Projekt ins Leben gerufen: Das integrative Deli „Kunst Werk Küche“. Ein besonderes Restaurant mitten im immer weiter wachsenden Werksviertel zwischen Start-ups, Händler*innen, Gastronom*innen und Kulturschaffenden.
Inselkammer engagiert sich seit Jahren ehrenamtlich, Familientradition nennt sie das. In der Kunst Werk Küche hat sie all ihr Engagement nun gebündelt: Von den 30 Mitarbeitern sind ein Drittel besondere Menschen – so nennt Katharina Inselkammer Menschen, die körperlich oder geistig eingeschränkt leben. Auf die Idee kam sie durch ihren Sohn.
„Er besucht eine Montessorischule. In der Klasse sind 22 Kinder, darunter drei besondere. Wenn dort etwas nicht wie gewohnt klappt, werden einfach die Regeln angepasst.“ Was in der Schule funktioniert, sollte doch auch im Arbeitsleben gelingen. In der Kunst Werk Küche soll dieses Kunstwerk glücken.
Das Thema Inklusion ist in den Räumen omnipräsent: Die Einrichtung ist ein Potpourri aus dem alten Inventar eines Juweliers anno 1903, eingesessenen Lederlehnstühlen aus Inselkammers Platzl Hotel und Leihexponaten vom Münchner Kartoffelmuseum. Auf der Tageskarte stehen asiatischer Schweinebraten und Apfel-Zitronen-Suppe mit Popcorn. Alles zusammen ergibt, wie ein Puzzle, Stück für Stück ein harmonisches Bild.
„Ich will zeigen, dass ein buntes Team genauso gut und wirtschaftlich arbeiten kann.“
Mittendrin steht Katharina Inselkammer, die pinke Schürze des Dirndls ist glatt gebügelt, die Blumenohrstecker glitzern. Müde sei sie heute, sagt sie. Gestern nach der Wiesnwirte-Versammlung haben sie noch Schafkopf gespielt. Sie sieht nicht müde aus. Anderen Menschen zu helfen macht glücklich, sagen viele Studien. Katharina Inselkammer trägt den Beweis mitten im Gesicht. Sie strahlt.
Vor ihr steht ein handgeschliffenes Kristallglas mit Leitungswasser, in Reichweite ein dickwandiges „Havana Club“-Longdrinkglas: „Schau’n Sie, an den Gläsern sieht man schon, worum es geht“, sagt sie. „Jedes Glas ist anders, alle Gläser erfüllen ihren Zweck. Genau das ist Inklusion: Jeder Mensch ist anders, aber alle leisten ihren Beitrag und alle bekommen die gleiche Chance.“ Bei der Führung durch die Catering- und Eventküche im ersten Stock bekommen diese Menschen Namen und Gesichter.
Jede*r hat eine eigene Geschichte, jeder eigene Herausforderungen – und Talente: Die bunten Patchwork-Taschen, die im Deli zum Verkauf angeboten werden, näht eine besondere Mitarbeiterin in ihrer Freizeit aus Seidendirndl- und anderen Stoffresten. Der Spüler hat keine Behinderung, dafür zehn Leben gelebt. „Ich war Taxiunternehmer, Polizist, Erzieher, 15 Jahre Alkoholiker und bin seit dem 1. April 2015 trocken“, erzählt er, lacht und verschwindet mit Haarnetz und Schürze im Kühlhaus.
„Es kommt auf die Mischung an“, sagt Inselkammer. „Wenn genug Leute da sind, um die Besonderen einzulernen, können beide Seiten voneinander lernen.“ Manch eine*r mag erst beim fünften oder achten Mal verstehen, wie man das Geschirr richtig poliert, dafür entdecken die Lehrer*innen vielleicht völlig neue Seiten an sich – etwa, wie geduldig sie sein können und wie gut sich Dankbarkeit anfühlt.
„Ich will zeigen, dass ein buntes Team genauso gut und wirtschaftlich arbeiten kann“, sagt Inselkammer und liefert den Beweis gleich mit. Sie erzählt von den erfolgreichen Catering-Aufträgen für den Landtag, für Bayern Tourismus, für die Allianz, für Kindergärten, Büros und Kanzleien.
In München existieren bereits ähnliche Einrichtungen wie die Kunst Werk Küche. „Das Conviva im Blauen Haus“ fällt Inselkammer spontan ein, wo alle Helfer*innen Menschen mit Handicap sind. Aber kein Projekt ist bisher so komplex wie ihres. „Es war mir wichtig, dass die besonderen Menschen nicht wieder nur Handlanger sind“, sagt Inselkammer. In der Kunst Werk Küche sind sie Teil eines Teams.
Es ist ein Miteinander, ein Füreinander. „Jeder Mensch sehnt sich nach Anerkennung und will sagen können: ‚Ich bin jemand! Ich kann was!‘“ Deshalb plant sie im kommenden Jahr auch besondere Mitarbeiter*innen in die Berufsschule zu schicken, damit sie mit allen anderen den Abschluss schaffen. Ein Förderverein ist bereits genehmigt.
„Inklusion muss nicht zwangsweise gemeinnützig sein“, betont Inselkammer immer wieder. Sie hat ihr Unternehmen bewusst als GmbH gegründet und nicht als soziale Einrichtung. „Die Gäste sollen nicht aus Mitleid kommen“, sondern aus demselben Grund wie bei jedem anderen Restaurant, „weil’s schmeckt.“ Damit es schmeckt, muss die Qualität stimmen, klar.
Beim Essen ist Katharina Inselkammer streng. In der hochmodernen Küche können bis zu 2.000 Gerichte zubereitet werden, „gekocht wird regional und saisonal, im September gibt’s Schwammerl, und der Blaubeersirup für den Winterpunsch wird jetzt gemacht.“ Küchenchef Oliver Munder führt Regie.
„Genau das ist Inklusion: Jeder Mensch ist anders, aber alle leisten ihren Beitrag und alle bekommen die gleiche Chance.“
Im Werksviertel ist das Deli bei Gästen beliebt, die sich dort mit Gurkenkaltschale und Pfirsichschorle erfrischen, Arbeiter der umliegenden Baustellen kommen auf einen Kaffee vorbei. Aber immer noch haben viele Berührungsängste. Wie man mit den Besonderen umgehen solle, wird Inselkammer immer wieder gefragt. „Ganz normal“, antwortet sie immer wieder.
Aber sie weiß auch, dass der integrative Ansatz in der Praxis Grenzen hat: „In den zwei Wiesnwochen wäre das unmöglich, da muss es zack, zack gehen, da fehlt einfach die Zeit.“ Miteinander arbeiten und leben, zusammenwachsen und zusammenhalten, das gelingt nicht sang- und klanglos in stiller Nacht, so viel wird klar, wenn man Katharina Inselkammer bei ihrer Arbeit begleitet.
Inklusion funktioniert nur dank Menschen mit viel Engagement, Geduld und ja, auch Geld, oder zumindest finanzieller Unterstützung. Gerade eine Stadt wie München, die immer schneller wächst und sich wandelt, braucht Menschen wie Katharina Inselkammer. Damit München bleibt, was es immer war: eine Stadt, die Menschen zusammenbringt.
Kunst-Werk-Küche | Atelierstraße 18, 81671 München